Ein chinesischer Friedhof an der Somme

Chinesischer Friedhof in Noyelles-sur-Somme © Michael Kneffel

Chinesischer Friedhof in Noyelles-sur-Somme © Michael Kneffel

Bei der diesjährigen Ruhrtriennale hat sich William Kentridge auf grandiose Weise mit der weitgehend unbekannten Geschichte von 2 Millionen Afrikanern beschäftigt, die von den damaligen Kolonialmächten gezwungen wurden, in den Ersten Weltkrieg zu ziehen. Sein Stück The Head and the Load,  hat mich an einen chinesischen Friedhof erinnert, auf den ich vor Jahren zufällig im kleinen Dorf Noyelles-sur-Mer an der Mündung der Somme gestoßen bin. 843 chinesische Arbeiter sind hier begraben von insgesamt 150.000, die 1916 von der französichen Regierung in China angeheuert wurden. Beschäftigt wurden diese Arbeiter zunächst beim Bau der kriegswichtigen Eisenbahnlinie von Paris nach Calais und beim Transport von Munition an die Frontlinie. Schon bald wurden sie aber mehr und mehr an der Front selbst eingesetzt, beim Bau und Ausbessern von Schützengräben und beim Bergen von Leichen. Dabei gerieten sie ebenso in das feindliche Feuer wie die französischen Soldaten. Auch ihre Unterbringung und Behandlung scheint bestenfalls der von einfachen Soldaten entsprochen zu haben, obwohl sie gegen Lohn beschäftigt wurden.

Wie viele von ihnen während des Krieges und durch unmittelbare Kriegshandlungen umgekommen sind, scheint unklar zu sein. Nach China konnten anscheinend nur wenige zurückkehren.. Wie eine Informationstafel am Friedhof verrät, ist die große Mehrheit spätestens 1920 an der Spanischen Grippe verstorben.

Grabstein auf dem chinesischen Friedhof in Noyelles-sur-Somme © Michael Kneffel

Grabstein auf dem chinesischen Friedhof in Noyelles-sur-Mer © Michael Kneffel

Les Sables d´Olonne im Juli – Frankreich pur und in Bestform

Vor fast 30 Jahren kamen wir zum ersten Mal nach Les Sables d´Olonne. Hinter uns lag eine wunderbare dreiwöchige Radtour durch den Südwesten Frankreichs. Vor der Heimfahrt wollten wir noch einige Tage das Meer und den Strand genießen und hatten uns dafür auf der Karte diesen Ort ausgeguckt. Nach den sehr ruhigen Fahrten durch die Wäldern der Landes und die Weinbaugebiete rechts und links der Gironde, war die Stadt fast ein Schock für uns. Der volle Strand, die Menschenmenge am Hafen, die belebten Gassen der Altstadt, so etwas waren wir nicht mehr gewohnt. Wir schwankten zwischen zwischen Faszination und Reizüberflutung. Unvergessen blieben uns in den folgenden Jahren aber die abendlichen Stunden auf der Promenade. In gebührenden Abständen präsentierten sich Akrobaten, Clowns und Musiker mit Gitarren oder Akkordeons. Und wenn letztere alte Chansons z. B. von Edith Piaf anstimmten, blieben dutzende Menschen aller Altersklassen stehen und sangen ganz selbstverständlich und aus tiefer Seele mit. Alle kannten die Texte auswendig. Die Atmosphäre war einfach wunderbar, sehr familiär, sehr entspannt und sehr französisch. Hier machte das Bürgertum Urlaub, Handwerker, Angestellte und Beamte der mittleren Einkommensklassen mit ihren Familien, vorwiegend aus der näheren Umgebung, wie man an den Autokennzeichen erkennen konnte. Es gab kein Chi Chi und kein Bling Bling, ganz anders als an der Cote d´Azur.

alte Ansicht von Les Sables aus den 80er Jahren

alte Ansicht von Les Sables aus den 80er Jahren

Nach einer sehr langen Pause hatten wir uns in diesem Jahr wieder für Les Sables als Urlaubsort entschieden. Wie hat sich die Stadt verändert? Werden die Menschen immer noch abends auf der Promenade singen und tanzen? An einem Sonntag Mitte Juli erreichen wir am späten Mittag unsere Unterkunft auf dem Cour Blossac. Es ist über 30 Grad heiß. Kein freier Parkplatz weit und breit. Zum Glück haben wir einen Platz in der Tiefgarage unseres Apartmenthauses reserviert und können im Kühlen auspacken und unser Apartment beziehen. Das Auto werden wir bis zu unserer Abreise keinen Millimeter mehr bewegen. Auch die mitgenommenen Räder werden viel seltener als anderen Orten zum Einsatz kommen. Dabei ist Les Sables ein sehr fahrradfreundlicher Ort. Es zeigt sich aber in den kommenden zwei Wochen, dass in fußläufiger Entfernung so viel Interessantes und Angenehmes zu finden ist, dass wir gar keine Lust auf größere Ausflüge haben. Sofort nach dem Auspacken ziehen wir unsere Badesachen an und gehen zum Strand. Nach etwa 60 Metern erreichen wir die Promenade und blicken zum ersten Mal auf´s Meer. Der Himmel strahlendblau, das Meer türkisfarben, sanfte Wellen an einem breiten, hellen Strand, Strandzelte und Sonnenschirme. Wir hören Möwen, das leichte Rauschen des Wassers und die Stimmen der Menschen, die sich am Strand vergnügen. So klingt der Sommer. Auf  der Promenade und dem Strand herrscht Hochbetrieb. Drei Minuten später sind wir im Wasser. Was für eine Wohltat bei diesen Temperaturen und nach einer zweitägigen Autofahrt. Sehr viele Mitschwimmer haben wir nicht gerade, was wohl an der Wassertemperatur von 19 Grad liegen mag. Das Wasser wirkt sehr sauber, und in zwei Wochen werden wir keinen Müll am Strand sehen, weder angeschwemmten noch von den Badenden hinterlassenen.

 

 

Auf dem Remblai

Kaum haben wir uns in unserer Unterkunft geduscht und umgezogen, zieht es uns schon wieder raus auf den Remblai, wie hier die Promenade heißt. In den folgenden zwei Wochen werden wir hier mehr Zeit verbringen als irgendwo anders in der Stadt. Vom frühen Morgen bis Mitternacht gibt es ständig etwas zu sehen. Um die 20 Cafés, Restaurants, Brasserien, Creperien laden hier auf über einem Kilometer Länge zum Essen, Trinken und Verweilen ein. Dazwischen verführen einige kleine Geschäfte mit mehr oder weniger nützlichen Dingen zum Stöbern und Geldausgeben. Dazu kommen Events rund um das Thema Segeln, verschiedene Märkte und Werbeveranstaltungen aller möglichen Unternehmen, welche die Badeorte an der Küste abklappern und zentnerweise Werbegeschenke verteilen. Möglich werden die vielen kleinen Events und Veranstaltungen erst dadurch, dass Autos hier nur einspurig, nur in eine Richtung und nur sehr langsam fahren dürfen. Die andere Hälfte der Fahrbahn ist für Radfahrer reserviert. Abends und an den Wochenenden wird die Promenade ganz für Motorfahrzeuge gesperrt. Erfreulicherweise bietet der Remblai auch unzählige Sitzmöglichkeiten für diejenigen, die gerade nichts konsumieren möchten, neben etlichen Bänken nicht zuletzt die Mauer über dem Strand.

 

Das schönste Café auf dem Remblai und in ganz Les Sables ist für uns das „L´Ocean Café“. Nach einem Brand im Jahre 2014 wurde es geschmackvoll und viel Liebe zum Detail im Stil einer Pariser Brasserie wieder aufgebaut. Der sympathische Besitzer freut sich, wenn er bei seinen Gästen Interesse an der Ausstattung bemerkt, und erzählt dann gern aus die Geschichte des 1874 geründeten Betriebes. Wert auf eine besondere Einrichtung hat man auch im „Café de la Plage“ gelegt, wo eine Innenwand eine verwitterte alte Byrrh-Reklame zeigt, wie sie früher in ganz Frankreich auf den Hauswänden zu sehen war. Eine andere Wand verweist mit einem Bild des Kommissars Maigret darauf, dass George Simenon einen Kriminalfall in Les Sables spielen und den trinkfreudigen Ermittler einige Gläser in eben diesem Café nehmen ließ. Aber auch Essen kann man hier gut, das Tagesmenue mit drei Gängen z.B. für knapp 16 Euro. Auf diesen Preis scheinen sich die meisten Restaurants in der Stadt verständigt zu haben, auch die etwa 30 bis 40 weiteren am Hafen. Ein spätes Glas Wein oder Bier haben wir gerne in der Brasserie „Comete“ getrunken, am Südende der Promenade. Insgesamt hat uns das Preisniveau in Les Sables angenehm überrascht. Es liegt spürbar niedriger als in anderen Küstenorten, die wir in den letzten Jahren besucht haben. In unserem Lieblingsrestaurant, dem „Terre et Mer“, haben wir für den genannten Preis nicht nur gut, sondern sogar ausgezeichnet gegessen. In unserer Heimatstadt Essen müßte man für ein Menue vergleichbarer Qualität mindestens das Dreifache bezahlen. Das „Terre et Mer“ liegt allerdings am Hafen, und zwar auf der Seite von La Chaume, von unserem Apartment einen guten Kilometer zu Fuß und eine Überfahrt mit der Hafenfähre entfernt. Gelohnt hat sich dieser Weg aber jedes Mal.

 

 

Live-Musik

Gegen 20 Uhr beginnt das Unterhaltungsprogramm auf dem Remblai. Sänger nur mit Gitarre oder Akkordeon, die Edith-Piaf-Chansons vortragen, haben wir leider nicht mehr erlebt, dafür fast jeden Abend drei Bands mit Verstärker- und Lichtanlage, verteilt auf drei Standorte. Die drei Musiker unserer Lieblingsband „Leonie“ stammen aus Les Sables und der Surfer-Szene der Stadt. Im Sommer touren sie mit ihrem Gute-Laune-„Surf-Pop“ und sehr eingängigen Ohrwürmern von einem Küstenort zum anderen, kommen aber regelmäßig in ihren Heimatort zurück. Die große Fangemeinde kennt alle Texte auswendig und singt begeistert mit. Von allen Bands, die wir gehört haben, war „Leonie“ mit Abstand die professionellste und beste.

 

Aber auch bei anderen Bands sind wir immer wieder gern stehen geblieben oder haben ihnen von der Terrasse des Cafés gegenüber zugehört. Neben den Live-Auftritten auf dem Remblai gab es noch diverse kostenlose Musikveranstaltungen im Museum des Ortes, im Jardin du Tribunal und anderswo, u. a. im Rahmen des Festivals „Vague de Jazz“. Besonders beeindruckt hat uns ein Auftritt der vier Saxophonisten von „Quatuor Machaut“, die im Kreuzgang der ehemaligen Abbaye Sainte-Croix alte und zeitgenössische Kompositionen mit eigenen Improvisationen verbanden. Musikalisch der Höhepunkt unseres Urlaubs. Das vielfältige und durchaus  anspruchsvolle Unterhaltungsprogramm unterscheidet Les Sables von vielen anderen Orten an der französischen Küste. In zwei Wochen und bei vielen Hundert Flaneuren fast an jedem Abend haben wir nie Betrunkene gesehen, nie Aggressionen oder Imponiergehabe erlebt. Es gab keine Glasscherben und keinen Abfall auf der Straße. Für Menschen, die aus dem Ruhrgebiet kommen, war das eine ungewohnte und überaus angenehme Erfahrung.

 

 

Akrobaten und Animateure

Mindestens so viele Zuschauer wie die Bands hatten verschiedene Akrobaten, Streetdancer und Animateure, die das Publikum in Bewegung brachten. Besonders beliebt waren die Jungs von „Streetsmile“, Breakdancer, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, die ganz Jungen einzubeziehen und zum Lachen zu bringen. Während die Bands und Streetsmiler so professionell waren, immer wieder ihre Facebook- und Instagram-Adressen zu nennen, blieben die Namen der meisten Artisten leider unbekannt.

 

 

Stadt und Architektur

Blickt man aus größerer Entfernung auf Les Sables, dominieren die Apartmenthochhäuser an der Remblai das Stadtbild. Nicht unbedingt ein schöner  Anblick. Je näher man der Stadt kommt, fallen einem jedoch die vielen alten Villen ins Auge, die an der Promenade und in den Straßen dahinter die Bauwut früherer Jahrzehnte überlebt haben. In diesem Jahrzehnt hat Les Sables große Anstrengungen unternommen, seine architektonischen Kostbarkeiten zu schützen und herauszuputzen. Liebhaber der Bäderarchitektur kommen hier durchaus auf ihre Kosten.

 

Vor dem Tourismusboom lebte der Ort vom Salzhandel, dem Fischfang und der Konservenproduktion. Von diesen Industrien sind nur die Salzgewinnungsbecken in den nördlichen Nachbargemeinden und eine kleine Fischfangflotte übrig geblieben. Im Ortskern zwischen Remblai und Hafen findet man aber noch viele kleine Arbeiter- und Fischer-Häuser. Das Gleiche gilt für den Ortsteil La Chaume auf der anderen Hafenseite, den mancher Einheimische als das wahre, ursprünglichere Les Sables bezeichnet. Aber auch dort welchseln immer mehr Häuser die Besitzer, werden zu Feriendomizilen für wenige Wochen im Jahr. Viele Alteingesessene können sich das Wohnen im Ort nicht mehr leisten, wie die Stadtführerin Priscilla berichtete, mit der wir an zwei Nachmittagen durch Les Sables und La Chaume gewandert sind. Neben den kleinen Häusern ist die verwinkelte Anlage der Straßen in den älteren Ortsteilen typisch. Beim Bau der Stadt wollte man vermeiden, dass die stürmischen Seewinde durch gerade Straßenzüge fegen und Kälte und Zerstörungen bringen. Viele der Verbindungsstraßen sind so schmal, dass sich dort Fußgänger und Radfahrer nur bei gegenseitiger Rücksichtnahme begegnen können. Die Rue de l´Enfer, als schmalste Straße der Welt im Guiness-Buch der Rekorde vermerkt, ist an ihrem unteren Ende sogar nur noch 40 Zentimeter breit.

 

Wer zum ersten Mal nach Les Sables kommt, wird einige Mühe haben, sich in den Gassen zu orientieren. Unfreiwillige Umwege lassen einen aber immer wieder auch Neues entdecken wie z. B. die Muschelmosaiken an den Wänden des Quartiers de l´Ile Penotte. Spaziergänge werden auf diese Weise nie langweilig. Zwischen Strand und Hafen befinden sich natürlich auch noch eine große Markthalle mit einem beachtlichen täglichen Lebensmittelangebot sowie etliche Geschäfte mit allem, was man zum täglichen Leben und im Urlaub benötigt. Die Geschäftsstraßen sind zum Glück längst in Fußgängerzonen umgewandelt worden. In den befahrbaren Straßen wird es im Juli mitunter etwas mühsam für die Fußgänger, sich zwischen parkenden Autos und Hauswänden hindurchzuschlängeln. Um den Verkehr zu reduzieren, bietet Les Sables wie andere Küstenorte auch inzwischen einen kostlosen Busverkehr an, der alle wichtigen Punkte der Stadt miteinander verbindet.

im Süden der Strand, im Norden der Hafen, im Osten La Chaume - eigentlich ganz einfach / Auszug aus dem Stadtplan, Quelle: Office de Tourisme

im Süden der Strand, im Norden der Hafen, im Westen La Chaume – eigentlich ganz einfach / Auszug aus dem Stadtplan, Quelle: Office de Tourisme

 

Schon am ersten Tag unseres Urlaubs haben wir uns gefragt, warum wir so viele Jahre haben verstreichen lassen bis zu unserer Rückkehr nach Les Sables. Die Stadt hat nichts von ihrem ganz besonderen Charme verloren. Hier ist Frankreich ganz bei sich. Mit Sicherheit werden wir auch im nächsten Jahr unseren Urlaub dort verbringen. Zwei Wochen haben längst nicht ausgereicht, den ganzen Ort näher kennen zu lernen, von der Umgebung ganz zu schweigen. Am schönsten sei es im Winter in Les Sables, hat uns der Patron des L´Ocean Cafés versichert. Warum nicht? Auch im Juli war es mitunter ganz schön windig. Der Begeisterung für diesen herrlichen Badeort hat das keinen Abbruch getan. Im Gegenteil.

 

 

Nizza schwarz-weiß

Nizza im August. Die Sonne scheint mit aller Macht und bringt die Farben zum Leuchten. Blauer Himmel, türkisfarbenes Meer, bunte Markisen, Hausfassaden in allen denkbaren Ockertönen. Eine Farborgie. Dazu ist es heiß, voll und laut. Reizüberflutung? Vielleicht gefallen mir deshalb von allen Fotos, die ich mitgebracht habe, einige Schwarz-Weiß-Aufnahmen am besten.

Nizza im August © Michael Kneffel

Nizza im August © Michael Kneffel

Nizza im August © Michael Kneffel

Nizza im August © Michael Kneffel

Nizza im August © Michael Kneffel

Nizza im August © Michael Kneffel

Nizza im August © Michael Kneffel

Nizza im August © Michael Kneffel

Nizza im August © Michael Kneffel

Nizza im August © Michael Kneffel

Nizza im August © Michael Kneffel

Nizza im August © Michael Kneffel

Nizza im August © Michael Kneffel

Nizza im August © Michael Kneffel

Nizza im August © Michael Kneffel

Nizza im August © Michael Kneffel

Mein Foto der Woche – Fußballer vor dem Eiffelturm

Fußballer vor dem Eiffelturm © Michael Kneffel

Fußballer vor dem Eiffelturm © Michael Kneffel

Dieses Foto stammt aus Paris im letzten Dezember und gehört auch noch in die Serie „Paris noir„. Nur wenige Meter entfernt vom unaufhörlichen Touristenstrom entlang der Seine zum Eiffelturm spielen Amateure Fußball im Stade Emile Anthoine. Eine Insel des Alltags und der Normalität.

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Mein Foto der Woche – Jahresabschlussfeier im Pariser Stade Emile Anthoine

Gruppenfoto im Stade Emile Anthoine © Michael Kneffel

Gruppenfoto im Stade Emile Anthoine © Michael Kneffel

Mein Foto der Woche stammt aus Paris, aufgenommen an einem unbeschwerten Abend kurz vor Weihnachten. Eine Amateurmannschaft begeht im Fußballstadion Emile Anthoine, das in unmittelbarer Nähe des Eiffelturms liegt, ihre Jahresabschlussfeier. Ich wünsche allen in Paris, dass solche unbeschwerten Stunden bald wieder zurück kommen werden.

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Poilhes – Idylle am Canal du Midi

„Ob an der Küste oder im Hinterland, in der Ferienregion Languedoc-Roussillon herrscht ein heiteres Lebensgefühl, das Gäste auf Anhieb in den Bann zieht. Am Strand, in Bistros und Restaurants, auf Märkten und bei Festen, überall herrscht diese typische Art de vivre, die den Urlaub im Süden Frankreichs so bereichert.“ So hat die PR-Agentur Ducasse / Schetter, spezialisiert auf die Vermarktung von Reisezielen in Frankreich und der Schweiz, unlängst das Languedoc-Roussillon beschrieben. Schon vorher hatten wir diese Region im Süden Frankreichs für unseren diesjährigen Frühjahrsurlaub ausgesucht. Nach fünfzehn Jahren wollten wir noch einmal vor allem die Gegend am Canal du Midi durchstreifen – überwiegend mit dem Rad. Als Ausgangspunkt für unsere Streifzüge hatten wir das kleine Örtchen Poilhes ausgesucht. Und das war ein großer Glücksgriff.

der Canal du Midi in Poilhes © Michael Kneffel

der Canal du Midi in Poilhes © Michael Kneffel

Direkt am Canal gelegen wirkt das Weinbaudörfchen ein wenig wie aus der Zeit oder einem Bilderbuch gefallen. Große alte Wirtschaftsgebäude zeugen vom Reichtum ansässiger Weinbauern, die Wohnhäuser machen einen sehr gepflegten Eindruck. Es gibt ein kleines, altes Chateau im Dornröschenschlaf, dessen Dach gerade renoviert wurde, eine leicht zu übersehende, aber nicht zu überhörende Kirche, deren Glocke zu jeder Viertelstunde schlägt, und ein bemerkenswert gut sortiertes winziges Lebensmittelgeschäft, in dem sich alles findet, was man für die Grundversorgung benötigt. Souverän geführt wird der Laden von einer freundlichen alten Dame, weit im Rentenalter, aber mit einer so würdevollen Haltung und korrekten Sprache, dass es nicht verwundern würde, wenn sie früher einmal die benachbarte Grundschule geleitet hätte. Dort wird immer noch unterrichtet, und in den Pausen sind die Stimmen der Kinder auf dem Schulhof fast im ganzen Dorf zu hören.

gefiederte Einwohnerin von Poilhes © Michael Kneffel

gefiederte Einwohnerin von Poilhes © Michael Kneffel

Und während in vielen südfranzösichen Dörfern die alten Restaurants und Cafés längst für immer geschlossen haben, bietet Poilhes gleich drei Restaurants mit ambitionierter Küche. Die Lage am Kanal und das ständige Defilee von Hausbooten mit zahlungskräftigen Touristen sichern das Überleben. Hausbootfahrer, die von der Küste kommen und hier Station machen, sehen schon bei der Einfahrt ins Dorf die Terrasse des „Tour Sarrasine“ und müssen nach dem Anlegen nur noch – an der Dorfgans vorbei – eine schmale Straße überqueren, um dort Platz nehmen zu können. Die Speisekarte ist umfangreich, das Essen großartig, und die Preise sind mehr als fair. Drei Gänge in dieser Qualität muss man anderswo schon etwas länger suchen und bekommt sie garantiert nicht für dreißig Euro, sondern bestenfalls für das Doppelte. Drinnen ist das Restaurant elegant eingerichtet, Steifheit kommt trotzdem nicht auf, dafür sorgt die herzliche Besitzerfamilie, mit Mitgliedern aus drei Generationen. Clemence, die Jüngste, lernt gerade das Laufen. Der aus Liège stammende Kellner scheint in allen auf dem Canal vorkommenden Sprachen zu Hause zu sein und bringt die bunte, internationale Gästeschar mit Humor und Gelassenheit durch einen entspannten und genussreichen Abend.

das wunderbare kleine Restaurant Les Platanes in Poilhes © Michael Kneffel

das wunderbare kleine Restaurant Les Platanes in Poilhes © Michael Kneffel

Etwas versteckter im Ort, neben der Kirche, liegt ein völlig anderes, aber ebenso empfehlenswertes Restaurant, das „Les Plantanes“ von Amanda und Dave, zwei sympathischen Neuseeländern, die vor sieben Jahren nach Frankreich übersiedelt sind und sich vor einem Jahr in Poilhes niedergelassen haben. Ihre Speisekarte ist überschaubar, dafür wechseln die angebotenen Gerichte häufig. Mit frischen Zutaten aus der Region bietet „Les Platanes“ Klassiker der französischen Küche wie den gebackenen Camembert oder die Zwiebelsuppe in seltener Qualität und zu noch günstigeren Preise als die Konkurrenz im Ort. Aber auch das neuseeländische Dessert „Pavlova“ sollte man sich nicht entgehen lassen. Als Besitzer eines Chateaus am Atlantik, das gerade zum Verkauf steht, und eines Hauses in den Pyrenäen haben die beiden viel zu erzählen und lassen sich gern am Nachmittag auf einen kleinen Schwatz auf der Terrasse ihres Lokals ein. Angesichts des hohen Wohlfühlfaktors in beiden Restaurants haben wir es gar nicht mehr bis zum dritten gastronomischen Anbieter geschafft. Am Rand des Ortes gelegen bietet das „Vinauberge“ neben Speisen auch Gästezimmer und verkauft Weine aus der Region.

Capestang mit der Kirche Saint Etienne © Michael Kneffel

Capestang mit der Kirche Saint Etienne © Michael Kneffel

Erster Anziehungspunkt außerhalb von Poilhes war für uns das nur vier Kilometer entfernte, ungleich größere und ebenfalls am Canal gelegene Capestang. Am Sonntag zieht der große Wochenmarkt sehr viele Menschen an. Unter der Woche wirkt der Ort mit seiner weithin sichtbaren, immer wieder erweiterten, imposanten Kirche jedoch merkwürdig unbelebt, was er mit vielen anderen Dörfer und Städten gemein hatte, die wir noch besuchen sollten. Auf Naturliebhaber, insbesondere Vogelfreunde, müsste Capestang eigentlich eine starke Anziehungskraft ausüben. Südlich der Stadt liegt der sogenannte Etang de Capestang, ein versumpfter, von mehreren Kanälen und einigen Wegen durchzogener ehemaliger See mit großen Schilfgebieten. Als wir ihn auf einer unserer Fahrradtouren eher zufällig durchquerten, sahen wir schon mit bloßem Auge so viele Störche, Reiher und andere Wasser- und Watvögel, die wir nicht identifizieren konnten, dass wir mit Hobbyornithologen in großer Zahl und von überall her rechneten. Weit gefehlt! Im Tourismusbüro von Capestang sah uns die freundliche Mitarbeiterin ziemlich verständnislos an, als wir nach Wanderwegen und geführten Touren durch dieses Gebiet fragten. Und auch andere Menschen, die vor Ort leben, fanden unsere Berichte von den Tieren im Etang sehr interessant, gestanden aber, noch nie dort gewesen zu sein. Etwas weiter ist man am Etang de Vendres, der etwa 15 Kilometer weiter südöstlich und damit unmittelbar vor der Küste liegt. Hier gibt es immerhin schon einen großen Beobachtungsstand mit einigen Informationen zu den dort anzutreffenden Vögeln. Dass in den Weinfeldern der Gegend unzählige Bienenfresser leben und fliegen, sei nur am Rande erwähnt.

im Beobachtungsstand am Etang de Vendres © Michael Kneffel

im Beobachtungsstand am Etang de Vendres © Michael Kneffel

Nicht viel weiter als Capestang, aber in östliche Richtung, liegt der etwas kleinere Ort Colombiers am Canal du Midi. Auf dem Weg dorthin ist der Kanaltunnel von Malpas zu besichtigen, ebenso wie das Oppidum d´Ensérunes – berühmte gallische Siedlungsreste, auf einem Hügel gelegen. Das benachbarte Informationszentrum von Malpas bietet viele Modelle, Karten und Reliefs und ein großes Literaturangebot zum Weltkulturebe Canal du Midi und zur Region. Durch den Bau eines großen Hafens im Jahr 1989 hat sich Colombiers zu einem Zentrum des Hausboottourismus entwickelt. Schön ist was anderes. Als wir mit unseren Rädern etwas irritiert im Rummel des Hafens standen und die hässlichen Zweckbauten betrachteten, fragte uns eine ältere Dame – offensichtlich aus dem Ort – was wir suchten und ob sie uns helfen könne. Auf unsere etwas ironische Antwort, wir suchten den Ort, hob sie resignierend die Schultern und entgegnete, es sei halt praktisch und einen Arzt gebe es auch. Wie viele Planungs- und Bausünden sind wohl schon mit dem Satz: „Es ist halt praktisch“, begründet worden?

im Hafen von Colombieres © Michael Kneffel

im Hafen von Colombieres © Michael Kneffel

Von unserem ersten Besuch am Canal du Midi vor 15 Jahren hatten wir das kleine Le Somail, etwa zwanzig Kilometer weiter westlich, in bester Erinnerung. Und auch heute noch wird der Ort in jedem Führer als Schönheit am Kanal beschrieben. Uns hat das Wiedersehen eher enttäuscht. Zu der malerischen Ansiedlung weniger Häuser an der alten Brücke hat sich eine große Neubausiedlung gesellt, die sich scheinbar planlos in die Landschaft ausdehnt. Neu hinzugekommene Gastronomie und ein großer Parkplatz für Wohnmobile haben auch nicht gerade den Charme des Ortes erhöht. Da gefiel es uns schon wesentlich besser am benachbarten Canal de Jonction, der den Canal du Midi als Verbindungskanal mit der Küste bei Narbonne verbindet und von herrlichen Pinien gesäumt wird. Wer mit dem Hausboot auf dem Canal du Midi unterwegs ist, sollte sich den Abstecher nach Sallèles-d´Aude nicht entgehen lassen. Auch wenn der Ort selbst bei unserem Besuch nahezu ausgestorben wirkte, gehören die dortigen Liegeplätze zu den schönsten, die man weit und breit ansteuern kann.

Hausboot in Sallèles-d´Aude © Michael Kneffel

Hausboot in Sallèles-d´Aude © Michael Kneffel

umgebaute Lastkähne in Sallèles-d´Aude © Michael Kneffel

umgebaute Lastkähne in Sallèles-d´Aude © Michael Kneffel

Es stimmt also, dass sich immer noch wunderschöne Dörfer und Landschaften in diesem Teil des Südens finden lassen. Auf der anderen Seite ist aber auch hier nicht zu übersehen, dass sich Frankreich in einer wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krise befindet und dass vielen Menschen das „heitere Lebensgefühl“, von dem eingangs die Rede war, abhanden gekommen ist. In zwei Wochen haben wir Armut, Elend und die Verödung von Städten in einem Ausmaß erlebt, wie wir es bisher nicht für möglich gehalten hätten. Wir sahen erschreckend viele Menschen, die vor einer karitativen Einrichtung um Lebensmittel anstanden, eine Familie mit Kind, die in Narbonne auf der Straße lebt, Dutzende von Frauen, die sich an der Landstraße zwischen Bèziers und Narbonne prostituierten. Das und einiges mehr hat uns sehr nachdenklich gemacht und ließ uns ahnen, warum gerade hier der rechtsradikale Front National bei der jüngsten Europawahl in vielen Kommunen weit über dreißig Prozent der Wählerstimmen bekommen hat.

aufgegebene Boulangerie in Sallèles-d´Aude © Michael Kneffel

aufgegebene Boulangerie in Sallèles-d´Aude © Michael Kneffel

 

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Nichts ist vergessen – der D-Day 1944 in der Normandie

Vor vierundzwanzig Jahren verbrachten wir unseren Sommerurlaub mit Zelt und Fahrrad in der Normandie. Von Jumièges an der Seine radelten wir entlang der Küste bis nach Barneville-Carteret auf der Halbinsel Cotentin und von dort durch das Landesinnere zurück zu unserem Ausgangspunkt. Wir hatten eine großartige Zeit in herrlichen Landschaften und an malerischen Orten. Immer wieder trafen wir allerdings auch auf Soldatenfriedhöfe, auf Gedenktafeln für von Deutschen erschossene Zivilisten und auf viele Hinterlassenschaften des 2. Weltkriegs. Besonders an den Küstenabschnitten, wo 1944 die Alliierten gelandet waren, um Europa von Nazi-Deutschland zu befreien, und wo viele regionale, oftmals improvisiert wirkende Kriegsmuseen große Scharen von Besuchern anzogen, fühlten wir uns als Deutsche manchmal fehl am Platze und vermieden es zuweilen sogar, deutsch zu reden. Zwischen all den Franzosen, Engländern, Niederländern und Touristen aus anderen Ländern, die ihre begeisterten Kinder auf alte Panzer und Geschütze klettern ließen, machten sich Gefühle von Scham und Schuld bemerkbar, die wir so kaum kannten.

Grab auf dem kanadischen Soldatenfriedhof in Beny-sur-Mer © Michael Kneffel

Grab auf dem kanadischen Soldatenfriedhof in Beny-sur-Mer © Michael Kneffel

Fast schon am Ende unseres Urlaubs betraten wir zum ersten Mal einen der vielen Soldatenfriedhöfe im Hinterland. Es war schon spät am Tag, und wir waren allein auf der überaus gepflegten Anlage mit den hunderten von weißen Grabsteinen. Bald hinter dem Eingang stand ein kleines Haus, in dem ein gebundenes Buch auslag, in das sich Besucher eintragen konnten. Es war fast bis zu den letzten Seiten vollgeschrieben. Angesichts des beachtlichen Umfangs des Buches waren wir sicher, dass es schon seit langer Zeit dort liegen musste. Als wir zurückblätterten, stellten wir jedoch fest, dass die ersten Eintragungen aus demselben Jahr stammten. Innerhalb eines halben Jahres hatten sich hier tausende von Besuchern eingetragen, von denen sehr viele aus Übersee stammten. Wir lasen die Namen von Menschen aus Kanada, Neuseeland, Australien und vielen anderen Nationen aus der ganzen Welt. Die Erkenntnis, dass fast fünfzig Jahre nach dem 2. Weltkrieg immer noch so viele Menschen enorme Entfernungen zurücklegten, um allein diesen Friedhof zu besuchen, traf uns unerwartet und heftig. Uns wurde schlagartig bewusst, wie lebendig die Erinnerung an die Opfer des von Deutschen entfesselten Krieges in weiten Teilen der Welt noch immer war, in wie vielen Familien noch immer an Angehörige gedacht wurde, die hier ihr Leben gelassen haben. Das war eine andere Erinnerungskultur als wir sie aus Deutschland kannten: pflichtgemäßes Gedenken nach Kalender in offiziellen Feierstunden, aber kaum irgendwo persönliches Erinnern oder Reden über die Kriegsjahre im Familienkreis. Jedenfalls nicht in unseren Familien.

In knapp einem Monat, am 6. Juni, dem sogenannten D-Day, wird sich die Landung der Alliierten in der Normandie zum 70. Mal jähren. An den zentralen Jubiläumsfeierlichkeiten in Ouistreham werden der amerikanische Präsident Obama, die englische Königin und zahlreiche andere Staatsoberhäupter teilnehmen. Auch die deutsche Bundeskanzlerin Merkel ist eingeladen. Seit Monaten laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. An der Küste und weit im Hinterland sind die Hotels, Ferienhäuser, Gästezimmer und Campingplätze für die ersten Juni-Tage ausgebucht.

Schon lange wollte ich noch einmal die Landungsküste der Normandie bereisen und den Soldatenfriedhof suchen, der mich 1990 mehr als viele Bücher und Filme hat verstehen lassen, welche Wunden ein Krieg reißt und wie langsam sie verheilen. Vor einigen Tagen habe ich mich aufgemacht.

verkümmerter Baum über dem Omaha Beach © Michael Kneffelaum über dem Omaha

verkümmerter Baum über dem Omaha Beach © Michael Kneffel

Meine Reise in die Vergangenheit beginnt wie der amerikanische Spielfilm „Der Soldat James Ryan“ auf dem amerikanischen Soldatenfriedhof von Collevillle-sur-Mer. Ursprünglich wollte ich in Ouistreham beginnen und die gesamte Landungsküste bis Sainte-Mère-Église abfahren. Aber kurz vor der Abfahrt hatte ich das Gefühl, dass das Erinnern Ruhe und Stille benötigt und ich wenigstens am Anfang die größeren Orte meiden sollte. Als ich am frühen Abend Colleville-sur- Mer erreiche, ist der „Normandy American Cemetery“ bereits geschlossen. Ich lasse das Auto am Ortsrand stehen und laufe hinab zum Strand, dem berühmten Landungsabschnitt „Omaha Beach“. Außer dem Wind, dem Meer und einigen Singvögeln ist nichts zu hören. Weit in der Ferne sehe ich Menschen am Strand. Nach über acht Stunden Autofahrt ist die Ruhe wohltuend. Ich steige vom Strand an einem Ehrenmal vorbei zum Parkplatz des Friedhofs hinauf, auf dem nur noch einige Wohnmobile stehen, und laufe zurück zum Ort. Gegenüber dem vor einem Jahr eröffneten privaten „Overlord Museum“ hat ein kleines Hotel geöffnet. Der kleine Ort selbst mit seinen grauen Natursteinmauern wirkt nahezu ausgestorben. Großformatige Fotos zeigen die Zerstörungen im Jahr 1944. Bei Einbruch der Dunkelheit tritt eine Frau aus einem Haus auf die Straße und ruft ihre Kinder nach Hause. Ich beschließe, im etwa sieben Kilometer entfernten Port-en-Bessin-Huppain auf Quartier- und Nahrungssuche zu gehen.

die Kirche von Colleville-sur-Mer 2014 und 1944 © Michael Kneffel

die Kirche von Colleville-sur-Mer 2014 und 1944 © Michael Kneffel

Nach meinem Frühstück im Café du Port unternehme ich einen kurzen Rundgang durch den Fischerei-Hafen. Der ganze Ort ist bereits auf das anstehende Jubiläum eingestimmt. Kein Schaufenster ohne D-Day-Dekoration. Kurz nach neun Uhr erreiche ich wieder den Friedhof in Colleville-sur-Mer und nach dem Passieren einer Sicherheitsschleuse mit Gepäckkontrolle darf ich das moderne Besucherzentrum betreten. Auf zwei Etagen wird hier durch Exponate, Informationstafeln und Filme über die Kämpfe und Opfer im Sommer 1944 informiert. Das hat Stil und unterscheidet sich stark von vielen privaten Museen in der Region.

im Besucherzenttrum des Normandy American Cemetery in Colleville-sur-Mer © Michael Kneffel

im Besucherzentrum des Normandy American Cemetery in Colleville-sur-Mer © Michael Kneffel

Über einen Weg mit Blick auf den Strand erreiche ich die riesigen Gräberfelder für 9387 amerikanische Soldaten und das Mahnmal für 1557 Vermisste. Noch sind erst wenige Besucher auf dem Gelände, einige Paare und Familien. Manche werden anscheinend von persönlichen Führern begleitet. In der Nacht und am Morgen hatte es geregnet, aber jetzt reißen ab und zu die Wolken auf und Sonne fällt auf gepflegte Wiesen, akkurat geschnittene Bäume und makellose schneeweiße Kreuze aus einem marmorähnlichen Material.

Gräber auf dem Normandy American Cemetery in Colleville-sur-Mer © Michael Kneffel

Gräber auf dem Normandy American Cemetery in Colleville-sur-Mer © Michael Kneffel

Ich betrachte das Mahnmal und besuche die kleine Kapelle in der Mitte des Friedhofs, während immer mehr Besucher eintreffen, Menschen jeden Alters, große Gruppen, die mit Bussen angereist sind, Schulklassen, amerikanische und französische Soldaten in Uniform. Einige nehmen den Weg zum Omaha Beach hinunter, wo sich die Reste eines Landungsbootes in Rost auflösen. Als ich den Friedhof gegen Mittag verlasse, hat sich vor der Sicherheitsschleuse des Besucherzentrums eine Warteschlange gebildet, die Parkplätze für PKW und Busse sind komplett gefüllt. Nach meiner Schätzung haben allein an diesem Diensttagvormittag im Mai mehrere hundert Menschen den Friedhof besucht, mindestens die Hälfte von ihnen aus den USA.

Reste eine Landungsbootes am Omaha Beach © Michael Kneffel

Reste eines Landungsbootes am Omaha Beach unterhalb des Normandy American Cemetery © Michael Kneffel

Gefüllt mit amerikanischen Touristen haben sich auch die Restaurants in Port-en-Bessin-Huppain, wo ich am Hafen zu Mittag esse. Die Lokale haben sich auf ihre ausländischen Gäste eingestellt. Neben traditionellen französischen Gerichten finden sich auch Fish and Chips auf den Speisekarten. Es hat den Anschein, als würden die Besucher der Landungsstrände, Friedhöfe und Mahnmale der Region eine fast ganzjährige Saison bescheren. In diesem Jubiläumsjahr dürfte die Zahl der Besucher allerdings noch einmal gewaltig steigen.

Am Nachmittag fahre ich etwa elf Kilometer weiter nach Arromanches-les-Bains, das durch den künstlichen Hafen mit dem Namen „Mulberry B“ berühmt geworden ist, den das englische Militär unmittelbar nach dem D-Day angelegt hat. 220.000 Soldaten und riesige Mengen an Fahrzeugen und Material wurden hier bis Oktober 1944 an Land gebracht. Etliche Pontons der Hafenanlage sind noch am Strand und weiter draußen im Meer zu sehen. Ich erreiche den Ort bei strömendem Regen. Trotz des schlechten Wetters ist der Besucherandrang im Ort beachtlich.

ein englischer Lehrer mit seiner Klasse in Arromanches-les-Bains © Michael Kneffel

ein englischer Lehrer mit seiner Klasse in Arromanches-les-Bains © Michael Kneffel

Im Mittelpunkt stehen das Museum oberhalb des Strandes, etliche alte Geschütze und Panzer im Stadtgebiet, die Reste des künstlichen Hafens und nicht zuletzt mehrere Geschäfte mit allen möglichen Militaria, von der Gewehrkugel am Goldkettchen bis zur alten Thompson-Maschinenpistole für 270 Euro. Das Kinderkarussell vor dem Museum verstärkt den Eindruck eines Rummelplatzes. Wie viele Touristenhochburgen entwickelt auch Arromanches seinen Charme erst am Abend nach Abreise der Tagesgäste. Bei Ebbe und wieder trockenem Wetter unternehme ich noch einen langen Spaziergang am Strand und sehe mir einige der verfallenden Pontons an. Später komme ich in meiner Hotelbar mit älteren Engländern ins Gespräch, die auf den Spuren ihrer Väter die Küste bereisen. Dazu laufen im Hintergrund schöne alte Guinguette-Chansons.

Ponton des Hafens Mulberry B in Arromanches-les-Bains © Michael Kneffel

Ponton 449 des Hafens Mulberry B in Arromanches-les-Bains © Michael Kneffel

Von meinem Hotelfenster kann ich am nächsten Morgen beobachten, wie kleine Motorboote zwischen dem Strand und den weiter draußen liegenden Hafenelementen hin und her pendeln. Wahrscheinlich leeren Fischer ihre für Schalentiere ausgelegten Reusen. Es regnet gerade nicht, aber am Horizont ziehen bereits wieder tiefdunkle Wolken auf, und ich überlege lange, ob ich mir wirklich noch die gesamte Landungsküste bis Sainte-Mére-Èglise ansehen oder nur noch gezielt nach dem Soldatenfriedhof suchen soll, der mich vor vierundzwanzig Jahren so beeindruckt hat. Nach meinen Recherchen im Netz könnte es der kanadische Friedhof in Beny-sur Mer gewesen sein, der keine zwanzig Kilometer entfernt ist. Die Wettervorhersage ist alles andere als verlockend, und so entschließe ich mich, meine Reise in die Vergangenheit abzukürzen und direkt dorthin zu fahren. Noch vor neun Uhr erreiche ich den Parkplatz des Friedhofs, der etwa drei Kilometer außerhalb des Ortes liegt. 2013 Soldaten wurden hier bestattet. Die meisten von ihnen starben am ersten Tag der Invasion oder kurz darauf beim Vorstoß in Richtung Caen. Der Zugang zum Friedhof sieht anders aus, als ich ihn in Erinnerung behalten hatte. Gerade als ich aus dem Auto steigen will, öffnet der Himmel alle Schleusen und enorme Regenmengen prasseln herunter. Zwei Besucher lassen sich vom Wolkenbruch nicht abhalten und betreten den Friedhof. Wenig später folgen ihnen zwei weitere Personen. Ich ziehe alle Jacken an, die ich dabei habe, nehme meinen Schirm und mache mich ebenfalls auf den Weg. Hier gibt es keine Sicherheitsschleuse. Alles ist Tag und Nacht frei zugänglich.

der kanadische Soldatenfriedhof in Beny-sur-Mer © Michael Kneffel

der kanadische Soldatenfriedhof in Beny-sur-Mer © Michael Kneffel

Die Torhäuser am Eingang kommen mir bekannt vor. Im rechten treffe ich auf die beiden zuletzt gesehenen Besucher. Der ältere von beiden stellt sich als Engländer vor. Er begleitet seinen kanadischen Verwandten, der nach Europa gekommen ist, um das Grab seines Großvaters zu besuchen, der im ersten Weltkrieg bei Passchendaele in Belgien gefallen ist. Gemeinsam haben beide anschließend noch weitere Friedhöfe besucht, unter anderem den deutschen Soldatenfriedhof in flandrischen Langemarck. Nun stehen wir zusammen auf einem kanadischen Friedhof in Frankreich, reden über den Wahnsinn zurückliegender Kriege und die aktuellen Vorgänge in der Ukraine. Als hätten die Menschen nichts dazugelernt, sagen beide, bevor sie sich verabschieden. Der Regen hört so schlagartig auf, wie er begonnen hat. Kaum bricht die Sonne zwischen den Wolken hervor setzten zwei Gärtner ihre Rasenmäher in Betrieb, und immer neue Besucher erscheinen. Ich bin mir inzwischen sicher, dass ich den Friedhof von 1990 wiedergefunden habe.

Besucher auf dem Weg zum kanadischen Soldatenfriedhof in Beny-sur-Mer © Michael Kneffel

Besucher auf dem Weg zum kanadischen Soldatenfriedhof in Beny-sur-Mer © Michael Kneffel

Das dicke gebundene Besucherbuch von damals ist allerdings einem dünnen Ringbuch gewichen, dessen vollgeschriebene Blätter schon nach kurzer Zeit entnommen zu werden scheinen. Die ältesten Eintragungen sind noch keine zwei Wochen alt. Seitdem wurden etwa zwölf Blätter beschrieben, meist von Kanadiern und Franzosen. Eine Französin jenseits der Sechzig, die von einem Herrn in den Achtzigern begleitet wird, spricht mich an. Beide suchen das Grab eines Mannes aus dem kanadischen Zweig ihrer Familie und halten mich offensichtlich für einen Mitarbeiter der Common Wealth War Graves Commission, die für die Unterhaltung und Pflege der Anlage zuständig ist. Mit der Hilfe des ausliegenden Registers finden wir sehr schnell das Grab. Ich begleite die beiden dorthin, und unterwegs fällt mir auf, dass auf vielen Gräbern ganz unterschiedliche Blumen blühen. Außer rotem Mohn und Tulpen sehe ich vor allem Lilien neben den Kreuzen. Dieser Blumenschmuck geht deutlich über eine zentral organisierte Kriegsgräberpflege hinaus. Hier scheinen sich regelmäßig viele Menschen zusätzlich und individuell um die Gräber zu kümmern.

Besucherbuch auf dem kanadischen Soldatenfriedhof in Beny-sur-Mer © Michael Kneffel

Besucherbuch auf dem kanadischen Soldatenfriedhof in Beny-sur-Mer © Michael Kneffel

Als ich den Friedhof gegen Mittag verlasse und den Heimweg antrete, habe ich viele andere Besucher gesehen. In das Besucherbuch hat sich von ihnen niemand eingetragen. Das scheinen nur wenige zu machen. Landsleute habe ich in den zurückliegenden drei Tagen übrigens keine getroffen.

 

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Zwei Mädchen in Sarlat

1994, Hochsommer, Sarlat im Département Dordogne, ein gut besuchtes Café am Marktplatz, Samstagvormittag. Die Szene betreten ein sportlicher, junger Vater und seine beiden Töchter. Der Vater ist offensichtlich schwer verkatert, trägt eine große, dunkle Sonnebrille, bestellt einen Café und möchte nur noch seine Ruhe haben. Beide Mädchen amüsieren sich wortlos über den Zustand des Vaters, respektieren aber seinen Wunsch nach Ruhe und regeln eine Stunde lang ihre Angelegenheiten im Café völlig allein – souverän, gelassen und mit einem wissenden Lächeln. Was mag aus den beiden geworden sein?

zwei Mädchen in Sarlat © Michael Kneffel

zwei Mädchen in Sarlat © Michael Kneffel

 

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