IGN-Wanderkarte „à la Carte“

Wer gern in Frankreich wandert oder sich mit dem Rad auch auf kleinen, nicht asphaltierten Wegen bewegen möchte, kommt an den blauen Karten des Institut Geographique National – kurz: IGN – im Maßstab 1:25.000 nicht vorbei. Er kennt dann aber wahrscheinlich auch den Ärger darüber, dass er für das Gebiet, das er durchstreifen möchte, manchmal bis zu vier Karten benötigt – wegen des vorgebenen und manchmal sehr ungünstigen Zuschnitts der einzelnen Blätter. Das geht nicht nur ins Geld, sondern es kann unterwegs auch ziemlich umständlich werden, wenn man mit mehreren Karten hantieren muss.

Bei unserem letzten Aufenthalt in der Vaucluse haben wir nun erfahren, dass IGN inzwischen die Möglichkeit bietet, sich über das Internet passgenau die eigene Wunschkarte produzieren zu lassen. Dieser Service heißt „Carte à la Carte“ und kann z. B. über diese Adresse http://loisirs.ign.fr/AccueilALaCarte.do?productRef=5907461 angesteuert werden.  Hier kann man sich zu Hause am Bildschirm eine Karte basteln, bei der z. B. das eigene Feriendomizil genau in der Mitte liegt. Neben dem Kartenauschnitt lassen sich außerdem der Maßstab, das Papier (einfach oder reißfest) und die Machart (plan oder gefaltet) bestimmen. Und schließlich kann man den Titel individuell festlegen und ein Wunschfoto auf das Deckblatt drucken lassen. Der Einstiegspreis pro Karte liegt bei 13,90 Euro und kann, abhängig von den individuellen Wünschen, auf bis zu 18,00 Euro steigen. Da vorgefertigte Einzelkarten zur Zeit knappe 10,00 Euro kosten, kann sich die „Carte à la Carte“ also als sehr günstiges Angebot erweisen.

Zwischen Pierrefonds und Compiègne – 2. Teil

Aussichtspunkt im Wald von Compiègne (c) Michael Kneffel

Pierrefonds liegt am östlichen Rand des Walds von Compiègne, des drittgrößten Waldgebiets Frankreichs, ca. 80 Kilometer nördlich von Paris. Seit Louis XIV gibt es hier ein ausgedehntes Waldwanderwegenetz. Schnurgerade Wege durchziehen den wildreichen Mischwald. Wo sie zusammentreffen, weisen seit 1825 Schilder an hohen weißen Pfeilern den Weg. Verlaufen kann man sich hier kaum. Einige dieser Wege sind auch mit dem Rad befahrbar. Aber auch wer sich gerne etwas abenteuerlicher auf Trampelpfaden, kaum breiter als Wildwechsel, durch dichtes Unterholz und mannshohe Farne schlägt, kommt hier auf seine Kosten.

Wanderweg im Wald (c) Michael Kneffel

In den letzten Jahren sind asphaltierte Radstrecken dazu gekommen, nicht zuletzt ein etwa 26 Kilometer langer Radrundweg, der Pierrefonds und Compiègne ohne nennenswerte Steigungen verbindet und auch bei Skatern sehr beliebt ist. Im Wald und an seinen Rändern liegen malerische Dörfer, in deren Natursteinhäusern mit den typischen treppenartigen Giebelkanten nicht selten betuchte Pariser ihre Wochenenden verbringen. Umgeben ist der Wald im Norden, Osten und Süden von riesigen landwirtschaftlich genutzten Flächen, auf denen meistens Getreide angebaut wird. Im Sommer geben einem diese Felder ein Gefühl von Weite und Ruhe, wie es sich sonst nur am Meer einstellt.

Weizenfeld bei Retheuil (c) Michael Kneffel

Wer sich auch im Hochsommer gern bewegt, dabei aber der prallen Sonne und Hitze entgehen will, ist im Wald von Compiègne bestens aufgehoben. Das dachten wir uns jedenfalls, als wir unseren Urlaub planten. Nur gab es in diesem Sommer kaum Sonne und schon gar keine Hitze, dafür Regen wie aus Eimern und allenfalls herbstliche Temperaturen. An unserem kältesten Urlaubstag zeigte das Thermometer nie mehr als 12 Grad. Und das Mitte Juli!

In der entsprechenden Kleidung machten wir uns trotzdem täglich auf den Weg, anfangs zu Fuß, später als das Wetter etwas besser wurde, meistens auf dem Rad. In den tiefen Wald schienen bei dem miserablen Wetter nur selten Menschen zu kommen, so dass sich ausgehungerte Bremsen immer gleich in großen Mengen auf uns stürzten, was das Wandervergnügen etwas beeinträchtigte. Nach der ersten Woche waren wir aus gegebenem Anlass auch im Besitz eines kleinen Instruments, mit dem man Zecken unfallfrei aus der Haut drehen kann.

altes Tor in Saint-Jean-aux-Bois (c) Michael Kneffel

Unser Lieblingsziel in der näheren Umgebung war mitten im Wald das Dorf Saint-Jean-aux-Bois, dessen Kern eine ehemalige Benedektiner-Abtei bildet, um die herum sich viele schöne alte und sehr gepflegte Natursteinhäuser gruppieren. Große Hoffnungen hatten wir hier in das rustikale Restaurant „La Fontaine St. Jean“ und seine traditionelle regionale Küche gesetzt, das ich auf meiner Fahrradtour im Mai kennen gelernt und in guter Erinnerung behalten habe. Leider schloss es kurz nach unserer Ankunft für die Sommerferien. Wer es etwas feiner möchte, hat im Ort  auch noch die „Auberge a la Bonne Idee“ zur Auswahl.

Le Grand Marechal in Rethondes (c) Michael Kneffel

Besonders gefallen haben uns noch die Dörfer La Brèvière, Vieux-Moulin und außerhalb des Waldes Chelles, Saint-Etienne-Roilaye, Saint-Crèpin-aux-Bois und Rethondes an der Aisne.

Das Herz von Rethondes schlägt im „Le Grand Marechal“, wo man übernachten, essen, einkaufen, Fahrräder ausleihen und sich bei sehr freundlichen Menschen einfach nur wohl fühlen kann. Gehobene Küche bietet im selben Ort der Ein-Stern-Koch Alain Blot. Die Speisekarte war vielversprechend, die Preise überraschend zivil. In unserem Radfahrer-Outfit wären wir dort aber etwas fehl am Platz gewesen.

Von hier ist es auch nicht mehr weit bis zu dem berühmten Eisenbahnwaggon, in dem 1918 und 1940 die Waffenstillstandsabkommen zwischen Frankreich und Deutschland unterzeichnet wurden. Das kleine Museum, in dem der Waggon verwahrt wird, scheint leider in der zentralen Museumsverwaltung Frankreichs keine Fürsprecher zu haben.  (Fortsetzung folgt.)

das Museum zu den Waffenstillstandsabkommen (c) Michael Kneffel

Mit dem Rad von Essen nach Südfrankreich – Tag 8

08. Tag, Sonntag, 15.05.2011, Crepy-en-Valois – Saint-Germain-lès-Corbeil, 110 Km, 9:00-19:00 Uhr

Der Tag beginnt mit einem Hotelfrühstück, dem die Croissants und das Baguette fehlen. Der Bäcker hat noch nicht geliefert . Ich halte mich an Zwieback und Obst. Auf der Straße ist es wieder sehr windig und kühl. Als es auch noch zu regnen anfängt, habe ich alles an, was warm und trocken halten kann. Über Ormoy-Villers, wo ich etwas Obst kaufe, Nanteuil-le-Haudouin, Lagny-le-Sec, St.-Mard und St.-Mesmes nähere ich mich Paris unter einer endlosen Prozession von Fliegern, die von Osten her den Flughafen Charles-De-Gaulle ansteuern. Über mir sehe ich immer mindestens drei Maschinen am Himmel. Die flache Landschaft wird beherrscht von Getreide- und Maisfeldern. Die Dörfer dazwischen wirken menschenleer. Ich kann noch erkennen, wo es früher mal Geschäfte und Cafés gegeben hat.

In Gressy erreiche ich endlich den Canal de l´Ourcq, dessen Uferweg dafür gerühmt wird, Radfahrer schnell und komfortabel durch die nicht immer attraktiven Vorstädte in´s Zentrum von Paris zu bringen. Die ersten der über 20 Km Kanaluferweg fangen gut an. Zwei Spuren, glatter Asphalt. Eine Menge Radfahrer und Skater sind unterwegs. Nach wenigen Km lässt die Qualität des Weges aber kräftig nach, und er wird auf langen Abschnitten zur Marterstrecke für Rad und Fahrer. Kurzzeitig führt der Weg vom Kanalufer weg und durch ein Park- und Waldgebiet. Schilder und Markierungen sind hier Mangelware. Je näher ich dem Stadtzentrum komme, desto weniger andere Radfahrer sind zu sehen. Das Grün verliert sich, Gewerbeflächen und Brachen wechseln sich ab, und wenn ich Menschen sehe, sind sie dunkelhäutig und gehören nicht zu den Gewinnern der gesellschaftlichen Entwicklung in Frankreich. Am Abend möchte ich hier nicht unbedingt durchkommen. Einige Km vor dem Ende des Weges im Parc de la Vilette warnen mich Baustellenhinweise und Umleitungsschilder, dass es mit meinem Uferweg bald vorbei sein wird, da stehe ich auch schon zwischen Bauzäunen im Niemandsland. Keine weiterführenden Hinweise weit und breit. Ich schiebe über Baustellen, zwänge mich durch Absperrungen, konkurriere mit versprengten Fußgängern um schmalste Wege zwischen Metallzäunen und stehe plötzlich vor einer Treppe, die zur Metro hinunter führt und so riecht, als würde sie schon länger als öffentliches WC genutzt. Ich quetsche mich daran vorbei und stehe nach einigen Metern tatsächlich auf einer belebten Pariser Straße in der Nähe des Parks. Von hier bis zum Canal St. Martin, der mich nach Süden fast bis zur Seine bringen soll, ist nur noch ein kleiner Orientierungs- und Hindernisparcours zu überwinden, und schon erreiche ich den breiten Radweg, der den Kanal begleitet. Da am Canal sonntags Märkte aller Art abgehalten werden, ist dieser Weg zunächst nahezu lückenlos mit den Lieferwagen der Markthändler vollgestellt. Erst nach einigen Kilometern kommen Straßenabschnitte, die am Wochenende Fußgängern, Radfahrern und Skatern vorbehalten sind. Es ist inzwischen wieder sonnig und trocken, so dass ich mir einen Tisch vor dem Restaurant „L´Atmosphère“ suche, wo ich mir zur Feier des Tages einen großen Salat Nicoise und einen Weißwein bestelle. Der Wind ist allerdings immer noch so kräftig, dass er mir fast den Salat vom Teller bläst.

Beweisfoto. Ich war in Paris. (c) Michael Kneffel

Nach der späten Mittagspause möchte ich die Stadt so schnell wie möglich wieder verlassen. Über die Place de la Bastille fahre ich durch dichten Verkehr bis zur Seine und passe mich unterwegs dem offensiven Fahrstil der einheimischen Radler an, die in beachtlicher Zahl vor allem auf Mieträdern unterwegs sind. Auf dem südlichen Seine-Ufer schlage ich den Kurs Südost ein und komme besser voran als gedacht, zunächst noch auf Radwegen, später dann auf der Straße. Der Pariser Glanz verflüchtigt sich bald. Die Gegend wird immer schäbiger und staubiger. An Gewerbegebieten und Verladeeinrichtungen vorbei folge ich der Seine bis Choisy-le-Roi, wechsle auf das andere Ufer und fahre auf Hauptstraßen weiter bis Montgeron. Hier ist die Straße für ein Fest gesperrt. Auf Nebenstraßen gelange ich endlich in den Foret Domaniale de Sénart, ein Waldgebiet, das mir anzeigt, dass ich die Metropole hinter mir gelassen habe. Mit mir zusammen genießen viele Spaziergänger, Radler und Skater den späten Sonntagnachmittag im Grünen. Mein Hinterteil signalisiert allerdings, dass ich mir allmählich eine Bleibe für die Nacht suchen muss. Campingplätze habe ich bei meiner Vorbereitung auf die Tour in dieser Gegend keine entdeckt. Es läuft also wieder auf eine Hotelübernachtung hinaus. In Tigery entdecke ich an der Straße einen Hinweis auf ein Hotel, das allerdings komplett ausgebucht ist. Ich werde weiter geschickt nach Saint-Germain-lès-Corbeil und finde dort schließlich ein Etap-Hotel neben der Autobahn. Ich zahle noch weniger als am Vorabend, dafür ist das Zimmer aber auch deprimierend. Dass ich wieder bei McDonalds essen muss, hebt meine Stimmung auch nicht gerade.

Mit dem Rad von Essen nach Südfrankreich – Tag 7

07. Tag, Samstag, 14.05.2011, La Fère – Crepy-en-Valois, 91 Km, 9:30-18:00 Uhr

die Aisnes bei Rethondes, (c) Michael Kneffel

Der Himmel am Morgen ist grau und sieht nach Regen aus. Es bleibt trocken, ist zunächst kühl, wird später am Tag aber wieder sonnig und warm . Durch das ziemlich hässliche Tergnier fahre ich nach Chauny, das mir wesentlich besser gefällt. Dort finde ich einen guten Fahrradladen und freundliche Menschen, die mir meine inzwischen etwas weichen Reifen mit einer vernünftigen Standpumpe aufpumpen. Mit meiner Handpumpe habe ich einfach nichts rein bekommen in die Reifen. Der Wind scheint etwas auf Nordwest zu drehen. Das wäre einfach zu schön. Nicht mehr den ganzen Tag frontal gegen den Wind strampeln müssen. Über Manicamp, Brétigny, Pontoise-lès-Noyon und Carlepont erreiche ich den schönen Wald von Compiègne mit seinen schnurgeraden Forststraßen. Rethondes an der Aisnes gefällt mir besonders gut. Frankreich wie im Bilderbuch. Impressionisten-Land. Die alte Brasserie „Le Grand Marechal“ hat es mir angetan. Hier würde ich gern mal Station machen. Jetzt ist es mir dafür allerdings noch zu früh am Tag. Das Dorf bereitet sich für ein Fest vor.

„Le Grand Marechal“, (c) Michael Kneffel

Bis Paris ist es nicht mehr weit. Gutsituierte Bürger aus der Hauptstadt  scheinen hier in den Dörfern ihre Wochenenden zu verbringen und kleine, aber sehr feine Häuser zu besitzen. Auf die Infrastruktur wirkt sich das spürbar aus. Es gibt plötzlich wieder Geschäfte, Cafés und Restaurants, die ich in den letzten Tagen meist vergeblich gesucht habe. Das Postkartendorf St.-Jean-aux-Bois, das ich als nächstes erreiche, scheint ganz in der Hand von Wochenendtouristen zu sein.  Wer hier wohnt, hat Geld, aber nicht unbedingt Kenntnis der Gegend, wie ich bei meinen Fragen nach dem richtigen Weg feststelle. Beim Verlassen des Waldes muss ich unerwartet eine lange und üble Steigung nehmen.

Campingplätze sind in dieser Gegend Fehlanzeige, aber bei einer Pause habe ich den Hinweis auf ein einfaches Hotel in Crépy-en-Valois erhalten. Der Ort, den ich am späten Nachmittag erreiche, macht einen sehr lebendigen Eindruck, am Ortsrand beeindrucken mich die ersten reifen Kirschen des Jahres. Leider liegt das Hotel „Akena“ in einem Gewerbegebiet weit außerhalb, zwischen Netto-Riesensupermarkt und Tankstelle. Bis ich meine Sachen in dem schlichten Zimmer untergebracht, meine Sachen und mich gewaschen habe, ist es so spät, dass ich keine Lust mehr habe, weit bis in den Ort zu laufen. Ich esse schließlich zusammen mit der lauten Jugend des Ortes bei McDonalds in der Nähe des Hotels, für das ich 42 Euro bezahle, plus 6 Euro für das kommende Frühstück. Weil es vor dem Hotel keine Möglichkeit gibt, das Rad sicher festzumachen, kommt es mit auf´s Zimmer.

Sicher ist sicher. Mein Drahtesel im Hotelzimmer. (c) Michael Kneffel

Im Fernseher laufen den ganzen Abend Berichte über Dominique Strauss-Kahn und seine Festnahme in New York.

Bis hierhin bin ich nun in meiner ersten Woche schon gute 600 Km gefahren und bin trotzdem noch nicht in Paris. Das Zentrum der Hauptstadt, die ich gern am ruhigen Sonntagvormittag durchfahren hätte, liegt noch schätzungsweise 60 km weit weg. Soll ich am nächsten Tag noch einmal Station vor Paris machen? Dazu habe ich eigentlich keine Lust. Das würde auch eine weitere Hotel-Übernachtung bedeuten, da ich bis zur Stadtgrenze keine Campingplätze mehr gefunden habe. Soll ich in Paris auf Hotelsuche gehen? Vielleicht finde ich ja was am angesagten Canal St. Martin, der auf meiner Strecke durch die Metropole liegt.

Mit dem Fahrrad von Essen nach Südfrankreich – Tag 6

06. Tag, Freitag, 13.05.2011, Le Nouvion-en-Thiérache – La Fère, 68 km, 10:00-15:00 Uhr

Ich schlafe etwas länger als sonst und sitze erst um 10:00 Uhr wieder auf dem Rad. Es ist sonnig, kühl, windig und hügelig. Ab Vadencourt folge ich der Oise bzw. dem Canal de la Sambre à l´Oise in südwestlicher Richtung und damit weiterhin gegen den Wind. Zunächst fahre ich durch Bauernland mit kleinen Feldern, später werden die durch große Monokulturen abgelöst. Den Feldern ist deutlich anzusehen, dass es in den letzten Wochen viel zu wenig geregnet hat. Das Getreide sieht noch einigermaßen gesund aus, aber die Mais- und die Gemüsefelder befinden sich in einem traurigen Zustand. La Sécheresse, die Trockenheit,  wird zum Dauerthema der Regionalzeitungen und meiner kleinen Plaudereien mit Franzosen, die ich treffe. Was für das Fahrradfahren angenehm ist, entwickelt sich für die Landwirtschaft zum echten Problem.

Relativ früh mache ich in La Fère Schluss, weil der nächste Campingplatz auf meiner Karte erst viel später zu erreichen wäre. Mein Platz, am Rande eines Sportgeländes gelegen und vom Platzwart mit betreut, ist völlig leer, aber von den Einrichtungen her gut in Schuss. Als das Zelt steht,  meine Wäsche und ich gewaschen sind, mache ich mich zu Fuß auf den Weg in´s Zentrum des gar nicht mal so kleinen Ortes und finde ganz am Rande der Innenstadt ein Restaurant mit französischer Küche. Ich esse gut und viel, trinke zuviel Wein, freue mich über die nette Atmosphäre im Lokal, das sehr gut besucht ist und in dem eine Großfamilie etwas zu feiern hat. Drei Generationen an einem langen Tisch. Endlich fühle ich mich in Frankreich angekommen.

Auf meinem Campingplatz sind am Abend noch zwei Wohnmobile dazu gekommen.

Mit dem Rad von Essen nach Südfrankreich – Tag 5

05. Tag, Donnerstag, 12.05.2011, Labuissière – Le Nouvion-en-Thiérache (F), 89 km, 8:00-17:00 Uhr

Früh am Morgen, ungewaschen und ohne meine Wasserflaschen irgendwo auffüllen zu können, verlasse ich den Platz und folge schon bald wieder dem schönen Uferradweg. In Jeumont überschreite ich die Grenze nach Frankreich und nehme in einem der typischen kleinen Etablissements mit dem Titel Bar/Café/Tabac/PMU meinen Café au lait. Für die Croissants schickt mich der Besitzer, der sich als Kind einer Leipziger Mutter outet, in die Bäckerei drei Häuser weiter und ich registriere dankbar, dass er mich nicht auf den Supermarkt gegenüber verweist, wo es ebenfalls Gebackenes gibt. Croissant und Pain au Chocolat sind ausgezeichnet, ich fülle meine Wasserflaschen auf und beobachte danach noch eine Weile die Rubbel-Los-Sucht, der offenbar nicht wenige Einwohner Jeumonts verfallen sind. Getrunken wird in dieser Bar nicht viel, gerubbelt aber non-stop. Vor allem ältere Menschen legen nicht gerade wenig Geld auf die Theke in der Hoffnung auf das schnelle Glück. Wo immer ich in den folgenden Tagen auf einen Kaffee oder eine Orangina einkehre, spielen sich dieselben Szenen ab. Ein Land im Rubbel-Fieber.

Bis hinter Maubeuge ist mein Radweg in gutem Zustand und auch die Beschilderung ist in Ordnung. Danach verlieren sich beide irgendwo in der Landschaft. Ich fahre ab Hautmont Landstraße und bin froh, meine dicke Regenjacke anzuhaben, weil der Wind kühl und stramm von vorn kommt. Mit dem Abschied vom Ufer beginnen sofort die Steigungen. Ab Berlaimont finde ich dann aber doch wieder stille kleine Straßen, die in der Nähe der Sambre ziemlich flach verlaufen. An Maroilles vorbei und durch Landrecies gelange ich auf einer ruhigen Tagesetappe nach Boué, wo es zwei Campingplätze geben soll. Ich finde nicht mal einen und fahre weiter nach Le Nouvion-en-Thiérache. Das Städtchen macht einen lebendigen Eindruck, ich sehe mehrere Restaurants und freue mich auf ein gutes Abendessen. Der Campingplatz des Ortes, etwas außerhalb gelegen an einem kleinen See auf dem parkähnlichen Grundstück eines eindrucksvollen Herrenhauses ist weitestgehend leer, aber großartig. Die Übernachtung kostet trotzdem für den Radtouristen nur 3,21 Euro! Nach dem Zeltaufbau wasche ich meine Radkleidung, spüle den Staub vom Rad und gehe schließlich duschen. Hätte mich trotz des kühlen Vormittags besser eincremen sollen. Mein linkes Ohr, die linke Wade und die Handrücken sind reichlich rot.

Mit dem Rad erkunde ich kurz nach 20:00 Uhr den Ort und muss feststellen, dass alle Restaurants inzwischen geschlossen sind. Nur eine Stehpizzeria hat geöffnet. So groß ist der Hunger dann doch nicht. Zurück auf dem Campingplatz kann ich noch eine Dose Erdnüsse und zwei Dosen Fanta kaufen, die mein Abendessen werden. Allmählich entwickelt sich meine Fahrradtour zur Fastentour. Dabei bin ich gar nicht auf dem Pilgerweg! Im Gemeinschaftsraum des Platzes unterhalte ich mich mit einem niederländischen Paar in meinem Alter, das auf der „Van-Gogh-Route“ von Paris nach Amsterdam fährt und die eigene Route per GPS erfasst, um sie später anderen Radtouristen zu verkaufen.

In dieser Nacht singen mich die Kröten des Sees in den Schlaf und meine Sonnenbrände halten mich warm.

Mit dem Rad von Essen nach Südfrankreich – Tag 4

04. Tag, Mittwoch, 11.05.2011, Sclayn – Labuissière, 95 km, 8:45-18:00 Uhr

Ich starte bei kühlen Temperaturen und deutlichem West-/ Gegenwind, der mir bis zum Abend treu bleibt. Zuvor hat mir mein Gastgeber noch versichert, dass es einen guten Uferradweg bis Charleroi, meinem nächsten Etappenziel geben werde. Meine Radhose und mein Hinterteil habe ich heute mit Vaseline und der besagten Hirschtalg-Creme präpariert. Bis zum Ende der Tour schützt mich dieses tägliche Verfahren weitestgehend vor neuen Problemen.

am Zusammenfluss von Meuse und Sambre in Namur, (c) Michael Kneffel

Anfangs an der Maas, die in Belgien Meuse heißt, ist der Weg tatsächlich prima. Im hübschen Namur überquere ich den Fluss und fahre am Südufer der Sambre weiter, die hier unterhalb der mächtigen Vauban-Festung einmündet. Mit dem guten Radweg ist es schnell vorbei. Ohne Vorankündigung ist der Weg plötzlich wegen einer Baustelle völlig gesperrt. Ich fahre auf der Landstraße weiter, versuche es später noch einmal mit dem Uferweg und stehe kurz darauf vor der nächsten Vollsperrung ohne Vorwarnung. Schade, denn die Sambre windet sich hier wirklich sehr schön durch die Landschaft. Also fahre ich auf der Landstraße weiter, die den Fluss begleitet und muss sofort einige Steigungen nehmen. Bei Arsimont stehe ich plötzlich vor einer autobahnähnlichen Schnellstraße. Keine Überführung, keine Unterführung. Einfach Ende meiner Straße. Ein radelndes Paar steht ebenso irritiert wie ich vor diesem Hindernis und fährt dann wieder zurück. Ich warte eine große Lücke im Verkehr ab und schiebe schließlich mein Rad so schnell wie möglich auf die andere Seite, wo meine Landstraße sich fortsetzt. Es wird deutlich wärmer, allmählich wieder industrieller, und ich beschließe, nicht mehr jeder Windung der Sambre zu folgen, sondern direkt über Pont-de-Loup den Süden von Charleroi anzusteuern. So wie hier hat das Ruhrgebiet vor 30 Jahren etwa in der Emscherregion ausgesehen. Potthässlich. Auf staubigen Straßen, die sich in einem fürchterlichen Zustand befinden, nähere ich mich weiter der Stadt von Südosten. Am Ende finde ich wieder einen fahrbaren Uferweg, der mich an Schrottplätzen und Werksgeländen vorbei durch den Süden der Stadt führt. „Kindermördergegend“ hätte man früher im Ruhrgebiet zu einer solchen Gegend gesagt. Es wundert mich nicht, dass mir hier plötzlich auf dem Radweg ein Streifenwagen der Polizei entgegen kommt.

Mein Uferweg endet abrupt unter einer Brücke im Innenstadtbereich und entlässt mich in eine Gegend, die ausschließlich von Menschen mit nordafrikanischen Wurzeln bewohnt zu sein scheint. Ich fahre einfach in Richtung Westen weiter, hilfreiche Straßenschilder kann ich nirgendwo entdecken, gelange zur Großbaustelle vor dem Südbahnhof der Stadt, frage einige Passanten, um mich zu vergewissern, dass ich noch auf dem richtigen Kurs bin, und verlasse den Innenstadtbereich auf einer großen Ausfallstraße. Was ich von Charleroi gesehen habe, war scheußlich und angetan, mich auf dem schnellsten Wege wieder aus der Stadt zu treiben. An einer Tankstelle mache ich eine späte Mittagspause, esse zwei Sandwichs und trinke etwas aus der Kühltheke. Danach geht es kilometerweit schnurgeradeaus und leider auch stetig bergauf.

Seit dem Vortag habe ich in meinem linken Auge ein Fremdkörpergefühl, das immer unangenehmer wird. Staub und Straßendreck sind auf dem besten Weg, eine Bindehautentzündung zu verursachen. Ich stoppe an einer Apotheke, kaufe gegen die Reizung Augentropfen, die nach einigen Stunden wirken, und erfahre vom freundlichen Apotheker, dass ich die falsche Ausfallstraße erwischt habe und noch weiter nach Westen muss. Der Apotheker lässt leider auch keinen Zweifel daran, dass ich auf dem Weg zu „meiner“ Straße zwei ganz üble Steigungen nehmen muss. Ich folge seiner Wegbeschreibung und stelle fest, dass er nicht übertrieben hat. Mein Herz schlägt hart, ich schnappe nach Luft und muss zum ersten Mal auf meiner Tour kurz vor dem Ende der Steigung aus dem Sattel und schieben. Nach einer rasenden Abfahrt kommt die nächste Steigung gleichen Kalibers, dann wieder eine heftige Abfahrt und ich erreiche erneut die Sambre, bei Montigny.

schöner Ort für eine Pause, das „La Guinguette“ an der Sambre, (c) Michael Kneffel

Hier beginnt nun der schönste Abschnitt meiner bisherigen Tour. Entlang der jetzt sehr idyllischen und stillen Sambre führt ein komfortabler Uferweg an mehreren kleinen Schleusen vorbei in langen Schleifen durch ein sattgrünes Bauernland. An der ersten Schleuse, in der Nähe der Ruine der Abbaye d´Aulne, genehmige ich mir im Restaurant „La Guingette“ eine Pause und einen Kaffee. Der Name gefällt mir. Guingettes hießen früher die beliebten einfachen Ausflugs- und Tanzlokale an den Ufern von Seine und Marne rund um Paris. Seit einiger Zeit sollen sie dort eine Renaissance erleben. In Belgien habe ich damit allerdings nicht gerechnet. Es wird langsam Zeit, nach einem Campingplatz Ausschau zu halten, und die Kellnerin ist sich sicher, dass es etwas außerhalb von Thuin, so heißt der nächste Ort am Fluss, einen kleinen Platz gibt. Nur in Thuin weiß leider kein Mensch davon, und ich setzte meine Fahrt an Lobbes und Fontaine-Valmont vorbei fort. Es ist jetzt offensichtlich die Stunde der Angler. Andere Menschen sehe ich nicht mehr. So spät am Tag war ich sonst nicht mehr unterwegs. Allmählich mache ich mich mit dem Gedanken vertraut, mein Zelt irgendwo in der freien Natur aufbauen zu müssen, als ich in einer Bar in Labuissière noch einmal nachfrage und ein Gast mir den Weg zu dem Campingplatz „La Cascade“ etwas außerhalb beschreibt.

Nach 18:00 Uhr erreiche ich heilfroh, noch was gefunden zu haben, den Platz und merke gleich, dass der etwas anders ist. Eine Ansammlung von Holzhütten in einem am Hang gelegenen Waldstück. Ich komme oben an einer großen Kindergruppe vorbei, die an einer Baracke spielt, die ich für eine Sanitäranlage im weitesten Sinne halte. Ein Teil der Kinder folgt mir bis unten, wo an einem Teich eine Kneipe liegt, und bombardiert mich mit Fragen. Ich frage meinerseits in der Kneipe nach einem Stellplatz und der Wirt kommandiert einen Gast ab, der mir ein Stück Wiese am Teich zuweist. Ich baue das vom Vortag immer noch nasse Zelt auf und mache mich auf die Suche nach den Waschräumen. Ein Junge auf einem Rad rät mir von den Sanitäranlagen ab, die seiner Meinung nach nicht besonders sauber sind. Ich bleibe hartnäckig und er weist mir schließlich den Weg zu einigen Holzhütten. Was ich aus der Entfernung sehe, reicht mir, um schnell wieder abzudrehen. Stattdessen gehe ich zur Kneipe, frage nach dem Preis für die Übernachtung, bekomme von der Chefin des Platzes zu hören, dass sie dafür nichts verlangt. Ich bedanke mich, stelle mich an den Tresen und bestelle erst mal ein Bier. Mit den heftig rauchenden Stammgästen komme ich schnell ins Gespräch, werde von neu Hinzukommenden herzlich und mit Handschlag begrüßt und ansatzlos in die Kneipenfamilie aufgenommen. Große Wandbilder mit Bergbauszenen machen mir klar, dass ich mich immer noch in einer Industrieregion befinde, die aber ihre besten Zeiten schon lange hinter sich hat. Mir kommt der Verdacht, dass die Bewohner des Platzes hier nicht nur ihre Freizeit verbringen, sondern tatsächlich wohnen. Ich esse noch einen Salat, gehe dann die Hütte oben am Hang inspizieren, die wie eine Sanitärbaracke aussah, entdecke eine Duschkabine mit Vorhängeschloss, frage einen älteren Herrn im weißen Bademantel, der entspannt vor einer der Nachbarhütten sitzt, nach der Dusche. Der ruft nach einer Frau in der Nachbarhütte. Ein Junge kommt heraus, hört sich den Fall an, verschwindet und kommt kurz darauf mit einem Schlüssel wieder. Für´s Duschen verlangt er 1,50 Euro. Ich bezahle, werde so doch noch den Staub und Schweiß des Tages los, gebe den Schlüssel zurück und ziehe mich in´s Zelt zurück. Damit ist der Tag aber noch nicht zu Ende. Aus gegebenem Anlass mache ich die Entdeckung, dass man übel riechende Sportschuhe und ihre Innensohlen nachhaltig mit Autan-Insektenspray desodorieren kann. Gegen hungrige Insekten aller Art hat mir das Zeug nicht geholfen, auf Sonnenbrand brennt es wie die Hölle, aber gegen Fußschweiß wirkt es wahre Wunder.

Immer, wenn ich nachts wach werde, und das passiert oft, kläfft ein Hund. Die Nacht ist wieder ziemlich kalt.

Mit dem Rad von Essen nach Südfrankreich – Tag 3

03. Tag, Dienstag, 10.05.2011, Eijsden – Sclayn (B), 89,3 km, 9:00-17:00 Uhr

Am Morgen ist das Außenzelt von beiden Seiten nass. Ich lasse mir also mit dem Abbau Zeit, muss das Zelt aber trotzdem reichlich feucht einpacken und sitze kurz nach 9:00 mit zwei Rosinenbrötchen vom Vortag im Magen wieder auf dem Rad. Der Himmel ist grau, es sieht nach Regen aus, und mir ist ganz schön frisch. Es folgen einige schöne Km entlang der Maas auf dem Knotenpunktradweg durch den schönen Ortskern von Eijsden mit einer sehr französisch wirkenden „Brasserie La Meuse“ bis zur belgischen Grenze. Belgien ist hier sofort sehr belgisch. Ansatzlos geht das reich und proper wirkende niederländische Limburg an der Grenze bei Visé in die arm und schmuddelig erscheinende Wallonie über. Zwei völlig unterschiedliche Welten. Faszinierend.

Ich überquere die Maas, bin kurz irritiert durch die veränderten Benennungen der Knotenpunkte (aus niederländisch 12 wird belgisch 412) und frage mich noch, wie lange mein Rad und ich wohl solche Schlaglochpisten aushalten werden, als ich in Haccourt auch schon den breiten und komfortablen Radweg auf dem Westufer des Kanals erreiche, der die Maas begleitet. Auf ihm komme ich flott voran, fahre fast im selben Tempo wie die großen Lastkähne, passiere verschiedene Industriebetriebe und erreiche nach 25 Km Liège. Unterwegs geht das Knotenpunktsystem verloren und der Radweg heißt Ravel 1. Aber das erfahre ich erst später.

In Liège muss ich das Ufer wechseln. Kein Problem, alles bestens beschildert. Im Stadtgebiet verlieren sich dann allerdings die Schilder, ersatzweise orientiere ich mich an den Symbolen des Pilgerwegs nach Santiago de Compostella, merke aber nach einer Weile, dass ich mich gar nicht mehr an der Maas befinde, sondern am Ostufer der Ourthe, die sich im Stadtzentrum mit der Maas vereinigt, und dass ich auf diese Weise viel zu sehr nach Süden von meinem Kurs abkomme. Ich muss zurück, schiebe mein Rad über Kreuzungen mit abartig hohen Bordsteinen, quere zu Fuß eine vierspurige Hauptstraße. Uferwege sind weit und breit keine mehr zu entdecken. Komme an etlichen Industriegebieten vorbei, überquere auf einer autobahnähnlichen Straße die Maas und bin froh, nach etlichen ziemlich scheußlichen Km endlich nach Jemeppe zu gelangen. Dort herrscht gerade Markt im Zentrum, und ich beschließe auf der Terasse enes kleinen Restaurants, das ausnahmsweise nicht mit Pizza, Panini oder Döner wirbt, zu essen, Salat, Spiegeleier, die seltsamerweise „Pferdeeier“ heißen, und die unvermeidlichen Fritten. Inzwischen ist es wieder sommerlich warm. Plaudere mit zwei älteren Damen an den Nebentischen und erfahre, dass es ab Jemalle, dem nächsten Ort, wieder einen Uferradweg geben soll. Mein Versuch, in einem Supermarkt eine Detailkarte der Gegend zu erstehen, bleibt erfolglos. Immerhin erhalte ich den Hinweis auf einen Campingplatz in Bas-Oha. Den Uferradweg finde ich allerdings nicht. Jeder Versuch, wieder an´s Ufer zu gelangen endet im Niemandsland zwischen der Maas und den Verladeanlagen von Industriebetrieben oder in Gestrüpp und Morast. Einmal mehr bewundere ich mein altes Rad dafür, was es alles wegsteckt. Schließlich gehe ich auf die N 617 und komme über Amay bis Huy, das von einem AKW dominiert wird. Sehr gemütlich.

Seit der niederländischen Grenze habe ich so ziemlich alles an Industrie erlebt, was man sich vorstellen kann. In dieser Region wird wirklich noch produziert und malocht wie im Ruhrgebiet vor 20 und mehr Jahren. Ich habe eine Menge Staub geschluckt und kann manchmal den Dreck zwischen den Zähnen und in den Augen spüren.

Hinter Huy wird es allmählich wieder etwas ländlicher. Der angepeilte Campingplatz in Bas-Oha erweist sich leider als so trostlos und dreckig, dass ich schleunigst weiter fahre bis Andenne. Im Touristenbüro des lebhaften Städtchens frage ich nach Campingplätzen und bekomme zu hören, dass ich dafür weit zurück fahren müsste, am besten nach Bas-Oha. Darauf kann ich gut verzichten. Auf die Frage nach einem Chambre d´Hotes, einem Gästezimmer bei privaten Vermietern, telefonieren die beiden Damen des Büros etwas herum und geben mir schließlich die Adresse von „L´Écluse“ im kleinen Sclay, wenige Km maasabwärts, direkt am Ufer. Das Haus mit der Fassade einer alten Kneipe liegt tatsächlich sehr schön. Empfangen werde ich von der Tochter des Hauses, später kommen die Eltern, die mich zum Bier einladen, und wir plaudern sehr nett über deren Radreise vor zwei Jahren auf dem Pilgerweg nach Tours und über meine Planung und Route. Das Zimmer erweist sich als ganzes Dachgeschoss mit großem Bad und Klimaanlage, die ich bald abschalte, um nicht einzufrieren. Beim Duschen stelle ich fest, dass mein Hinterteil gelitten hat. Ich verarzte mich mit Hirschtalg-Fußcreme von DM. Was für die Füße gut ist, kann dem Hintern nicht schaden.

Das Restaurant des Ortes ist so fürchterlich auf modern und „cool“ getrimmt, dass ich sofort wieder abdrehe. Die Fritterie des Ortes finde ich allerdings mal wieder nicht und gehe schließlich nach einem Apfel aus den Vorräten meiner Gastgeber in´s Bett. Auf dem Treppengeländer finde ich getrocknet und zusammengelegt meine Radkleidung, die ich nach der Ankunft gewaschen und in den Garten gehängt hatte.

Für die Übernachtung und das reichhaltige Frühstück zahle ich am nächsten Morgen 40 Euro.

Mit dem Rad von Essen nach Südfrankreich – Tag 2

2. Tag, Montag, 09.05.2011, Reuver – Eijsden, 95,3 km, 9:00-17:00 Uhr

Ich stehe kurz vor 8:00 Uhr auf und bin um 9:00 Uhr startklar. Die Nacht war kurz und laut. Am Vorabend haben meine Nachbarn noch lange munter miteinander geplaudert, am frühen Morgen machen zwei Tauben direkt über mir ordentlich Radau, aber der Clou ist ein campingplatzeigener Pfau der x-Mal in der Nacht auf andere Geräusche reagiert und aus voller Kehle sein Warn-Geschrei anstimmt. Fühle mich trotzdem fit und fahre ohne Frühstück los. Weit und breit kein Café, keine Einkaufsmöglichkeit.

Anfangs versuche ich es mehrfach mit den Knotenpunkt-Radwegen entlang der Grenze Richtung Süden, gerate dabei aber immer wieder auf schotterige oder sandige Wald- und Feldwege, für die mein Rad zu schwer und seine Reifen zu schmal sind. Schließlich wechsle ich auf die breite Landstraße und erreiche Roermond, als die ersten Cafés gerade öffnen. Freue mich auf ein gutes Frühstück, bekomme aber in einem eigentlich ganz gut aussehenden Café am Hauptplatz der Stadt zum Kaffee tatsächlich nur Panini und Pizza angeboten. Am frühen Vormittag! Bin ziemlich konsterniert. Arme Niederlande! Was gab es hier in meiner Jugend überall für leckere Sachen zum Frühstück. Offene Bäckereien finde ich auch nicht. Dafür erstehe ich im benachbarten Touristenbüro VVV endlich eine ANWB Fietskaart, auf der die Radwege und Knotenpunkte entlang der Maas bis zur belgischen Grenze verzeichnet sind. Frage trotzdem nach Fernradwegen und bekomme die Empfehlung, dem LF3 auf der anderen Maasseite zu folgen. Die Maas in Roermond ist ziemlich breit, der Wind auf der Brücke heftig, so dass es eine Weile dauert, bis der Radweg in Sicht kommt bzw. die Großbaustelle, als die sich der Radweg dann erweist, völlig eingezäunt und unbefahrbar. Das Kartenstudium ergibt, ich muss wieder zurück in die Stadt und auf die andere Seite der Maas. Die Erfahrung, dass die Mitarbeiterinnen von Touristenbüros selbst in Hochburgen des Radtourismus (wie z.B. an der Loire) offensichtlich selbst nicht mit dem Rad fahren und keine Kenntnis von den Gegebenheiten in ihrer Region haben, werde ich noch einige Male machen.

Nach einem weiteren Versuch mit einem durch den Ort mäandrierenden Radweg gebe ich auf und fahre auf der Hauptstraße Richtung Sittard weiter. Mein „Frühstück“ nehme ich dann gegen Mittag an einer Tankstelle. Ausgerechnet! Käsebrötchen und zwei Bananen-Maracuja-Drinks. Sittard erweist sich als ebenso malerisch wie Roermond. Ich fahre langsam durch den Stadtkern, komme bei der Ausfahrt zu weit nach Osten ab, frage mich durch und treffe schließlich wieder auf die Straße nach Maastricht, meinem nächsten Etappenort. Um 15:00 Uhr beginnt es, für kurze Zeit heftig zu regnen, und ich fahre einige Km in voller Regenmontur: Regenjacke, -hose, -gamaschen und Helmüberzug.

Am Nordrand von Maastricht entscheide ich mich wieder für einen der ausgeschilderten Radwege und lerne prachtvolle Herrenhäuser in eindrucksvollen Parkanlagen kennen. Die Innenstadt durchquere ich schnell auf dem östlichen Maasufer, um zu dem Campingplatz am Südrand der Stadt zu gelangen, den ich auf der Karte entdeckt habe. Er gehört schon zur Gemeinde Eijsden, ist sehr nett und bietet einen schönen Blick auf den Fluss und die Hügel auf dem anderen Ufer. Die Übernachtung kostet 7,50 Euro plus 50 Cent für die Dusche. Ich baue bei leichtem Regen mein Zelt auf, wasche Hemd, Unterhemd und die Radhose, finde eine alte Wäscheschleuder und klammere meine Sachen zum weiteren Trocknen außen am Zelt fest. Nach dem Duschen mache ich mich auf die Suche nach Nahrung. Im Nachbarort soll es trotz des Montagabends eine offene Pizzeria und eine Art Imbiss geben. Ich fahre einige Kilometer, suche intensiv, finde aber nichts. Schließlich kaufe ich im winzigen Campingplatzladen auf, was einigermaßen nahrhaft aussieht, und mache mir Käsebrote. Dazu gibt´s Fruchtjoghurts und Bier aus der Dose. Zum Glück gibt es auf diesem Platz zwei Picknick-Plätze, stabile Tische und Bänke, so dass ich nicht auf dem Boden sitzen muss. Nur wenige Plätze bieten Fahrradtouristen und Wanderern diesen Komfort, wie ich in den folgen Tagen feststellen werde.

Der Abend ist deutlich kühler als der Vorabend. Im Laufe des Tages hat meine rechte Wade gemuckt. Am Abend fühlt sich die ganze Kniekehle etwas verhärtet an. In der Nacht wird es mir ganz schön kühl in meinem alten Daunenschlafsack.

Mit dem Rad von Essen nach Südfrankreich – Tag 1

1. Tag, Sonntag, 08.05.2011, Essen – Reuver (NL), 90,5 km,9:00-16:30 Uhr

Es ist sommerlich. Regine hilft mir, das Rad zu bepacken, dann geht es gegen 9:00 Uhr los. Zwei Straßenecken weiter merke ich, dass der Radcomputer noch gar nicht angebracht ist, stelle alle Werte auf Null und starte nun richtig. Früher habe ich Radcomputer immer für überflüssig gehalten, aber für so eine lange Tour habe ich mir doch einen von Tchibo zugelegt, um unterwegs ein paar objektive Daten zu erhalten. Durch Holsterhausen bis zur Wickenburg, von dort auf dem Radweg unterhalb der Margarethenhöhe bis MH. Durch MH und DU komme ich besser als gedacht. Hauptfeind in DU die Straßenbahnschienen. Heikel mit dem schweren Rad auf dem schmalen Streifen zwischen Schiene und Bordsteinkante zu balancieren. Fahre schließlich in der Schienenmitte. Radwege nur abschnittsweise. Schöne Sonntagmorgenstimmung. Typisches Ruhrgebiet. Jungen spielen auf Brache. Schon viel los vor dem Zoo. Orientiere mich mit Hilfe der Kartenfunktion im iPhone (Fußgängermodus). Besser als alle Routenplaner im Internet. Werde im Hafen von DU am Kreisverkehr fast angefahren. In Rheinnähe viele Menschen, ein Volksfest auf den Rheinwiesen kündigt sich an. Nach 25 Km fahre ich über die Rheinbrücke. Lange tuckert und stinkt ein Traktor mit leerem Anhänger für bestimmt 20 Mitfahrer neben mir her.

Durch Moers geht es über Neukirchen und Vluyn immer nach Westen. Komme durch Ort mit Straßenfest und Straßensperrung. Fahre Landstraße. Erste Pause nach 40 km und 3 Stunden an der Kirche von Schaephuysen. Esse meine Brötchen. Weiter geht´s über Aldekerk, Wachtendonk, Wankum und Herongen. Es läuft alles sehr gut. Habe meine ideale Trittfrequenz gefunden, komme schneller voran als gedacht, genieße die Bewegung und freue mich, wie leicht mir das Radeln fällt. Um 15:00 Uhr erreiche ich die Stadtgrenze von Venlo und bewundere die properen Villen am Stadtrand. Im Ort viele Radfahrer, aber kaum Schilder. Frage Mann auf Rad nach dem Weg ins Zentrum, nach Campingplatz und komme etwas ins Plaudern. Er empfiehlt mir einen Platz in Baarlo, ca. 10 km südlich von Venlo. Suche etwas nach der richtigen Ausfahrt aus der Stadt, erreiche die Maas und fahre am rechten / östlichen Ufer nach Süden. Merke zu spät, dass Baarlo auf der anderen Seite der Maas liegt. Habe von dieser Gegend noch keine Karten, weil ich mich auf die legendär guten Radwegebeschilderungen verlasse.

Auf meiner Seite sehe ich dann zum Glück ein Hinweisschild auf einen Campinplatz, das mich im rechten Winkel 2-3 km nach Osten vom Ufer weg führt. Frage unterwegs nach, weil keine Schilder mehr kommen. Lande gegen 16:30 auf dem Camping Natuur Plezier in Reuver, wo ich von der freundlichen Astrid nach kurzer Wartezeit empfangen werde. Für die Übernachtung zahle ich 7,90 Euro. Netter kleiner Platz mit einigen Dauercampern und Wohnmobiltouristen. Baue Zelt auf, leider in der Sonne. Drinnen ist es unerträglich warm. Die Dusche ist eine Riesenwonne. Nach dem Umziehen gehe ich im Ausflugslokal nebenan zwei große Alster trinken und esse ein Lachsbaguette. Gut besucht. Viele Wochenendtouristen, etliche davon mit Rädern. Sehe mehrere Elektro-Fahrräder. Viele Stammgäste. Man kennt sich. Die Grenze ist in Sichtweite. Niederländisch, Deutsch und Platt gehen mühelos durcheinander.

Mit dem letzten Tageslicht krieche ich in mein Zelt und mache ich mich für die Nacht zurecht. Eine meiner Motivationen für die Tour bestand darin, nach 21 Jahren mal wieder im Zelt zu leben. Anders als Regine verbinde ich damit positive Erinnerungen. In meiner ersten Nacht frage ich mich bereits, woher die stammen. Das Leben auf allen Vieren kommt mir recht mühsam vor. Obwohl ich ein 2-3 Personen-Zelt gekauft habe, Salewa Denali III, das mir beim Probeaufbau zu Hause noch reichlich überdimensioniert vorkam, finde ich es in meinem Kunststoff-Iglu eher eng. Vier Packtaschen, eine Lenkertasche und ein Haufen Kleinkram wollen neben einer Iso-Matte und Schlafsack untergebracht sein. Zu zweit würde ich in diesem Zelt nur im äußersten Notfall übernachten wollen. Nachts rutsche ich ständig von meiner 50 cm breiten Thermarest-Matte. Im Schlafsack komme ich mir vor wie eine ägyptische Mumie, kann mich kaum bewegen oder auf die Seite drehen.

Am Vormittag war das Fahren am schönsten. Alles noch ruhig und mild. Gute Luft. Mittags kommen mit der Hitze (ca. 25 Grad) der Wind und der Staub. Ich genieße, wie sich am Niederrhein die Landschaft weitet und höre den ersten Kuckuck rufen. Sein Ruf begleitet mich bis weit nach Frankreich hinein. Alles satt grün. Leider auch viel Ausflugsverkehr auf der Straße.

Die Strecke war sehr flach. Minimale Steigungen in MH. Statt der geplanten 50 km bin ich am Ende mit einigen Umwegen 90,5 km gefahren. Unterwegs wäre aber auch nicht viel gewesen, wo ich hätte übernachten wollen oder können.

Ich lerne, dass das berühmte Knotenpunktsystem der Radwege an der Maas mir ohne Karte wenig hilft. Zwar gibt es ab und zu Übersichtstafeln und man kann sich dort die nächsten Punkte merken oder notieren, die man ansteuern möchte (z.B. 17-18-33-34-51). Mir wäre für die Orientierung wesentlich lieber, wenn auf den Markierungen nicht nur Nummern, sondern auch Ortsnamen stünden. Die Radwege bedienen vor allem regionale touristische Interessen und sind nicht unbedingt für Tourenradler angelegt.