Erinnerungen von Regine Möllenbeck
Beinahe das ganze Jahr 2020 und nun offenbar auch mindestens die erste Hälfte des Jahres 2021 bestimmt Corona in hohem Maße unseren Alltag, vor allem bestimmt es unser Reisen und, was schlimmer ist, unser Nicht-Reisen. Je mehr und je länger das wirkliche Verreisen mir versagt bleibt, umso mehr gehe ich dazu über, in Gedanken auf Reisen zu gehen.
Ein erster Impuls dafür war die Fernsehübertragung der Tour de France im Sommer 2020. Anders als in den Vorjahren hatte ich viel Zeit zuzusehen. Sportlich interessiert mich die Tour überhaupt nicht, aber ich habe trotzdem ganz gerne zugeschaut bei dieser Frankreichrundreise aus der Hubschrauberperspektive. Viele Streckenabschnitte waren so interessant, dass ich das ständige Reden über Radfahrer gut überhören konnte.
Die Tour de France im Sommer 2020 war ganz überwiegend im südlichen Teil Frankreichs unterwegs und damit in den Regionen, die ich zwar kenne, in denen ich aber schon ziemlich lange nicht mehr war. So manche Etappe hat deshalb bei mir Erinnerungen an längst vergangene Urlaube geweckt. Oft habe ich dann gedacht: es ist wirklich richtig schön da — um mich dann zu fragen: möchte ich noch einmal an all die Orte, die ich als schön in Erinnerung habe – vorausgesetzt man darf es wieder?
Inzwischen zieht es mich vor allem an die Atlantikküste, wegen ihres Lichtes, glaube ich, oder wegen der Farben oder wegen des Himmels oder wegen des Essens – oder weil dort einfach alles stimmt.
Ich freue mich schon sehr darauf, hoffentlich bald wieder hinfahren zu können.
Vor allem der Norden Frankreichs und seine Küsten, die von Nord-Pas de Calais, die der Picardie und der Normandie liegen doch ganz nahe, nur einen Katzensprung entfernt, wie man so sagt. Es ist so schade, dass man zur Zeit noch nicht einmal einen solchen Katzensprung tun kann.
Bis es so weit ist, ist es eine nette Beschäftigung in Gedanken zu reisen und sich an viele schöne Orte zu erinnern, auch an solche, an denen ich vor langer Zeit war. Zahlreiche Begegnungen kommen mir wieder in den Sinn, denn sie gehören zum Urlaub ebenso dazu wie Landschaften und das Wetter.
Und warum schreibe ich es auf?
Aus Freude – Freude daran, mir durch das Aufschreiben selbst einen Anlass zu schaffen, an Frankreich und an Urlaub zu denken, und sicherlich auch aus Freude daran, mich in tendenziell eher langweiligen Corona-Zeiten mit etwas Schönem zu beschäftigen. Ich schreibe also eher für mich und wer mag, kann es gerne lesen. Im Sinne einer Gebrauchsanweisung möchte ich aber betonen, dass es lediglich meine Erinnerungen sind; ihnen wohnt kein Aufforderungscharakter inne, womöglich hinzufahren. Es scheint sich die Haltung zu verbreiten, man müsse ganz unbedingt gewisse Dinge tun oder eben auch bestimmte Orte besuchen, weil alle anderen es auch tun. In unseren Urlauben und vor allem auch in den großen Städten wundern wir uns über diejenigen, die auf uns wirken, als seien sie eigentlich nur dort, weil ein Reiseführer sie denken läßt, dass sie ganz unbedingt hin müßten, wo sie nun tatsächlich auch sind. Sie stehen auf Plätzen und vor Aussichten, machen ein Photo, ein Selfie selbstredend, und auf uns wirkt es, als würden sie dabei vor allem in Gedanken einen Haken machen, im Sinne von „dagewesen-abgehakt“. Letztendlich scheint es ihnen recht egal zu sein, ob sie wirklich da waren, wo sie waren.
Diese Entwicklung befremdet mich, um es vorsichtig auszudrücken, und ganz bestimmt werde ich also von keinem Ort in Frankreich behaupten, man müsse dort hin. Man muss noch nicht einmal nach Frankreich, wer so drauf ist, ist nicht nur, meiner Ansicht nach, im falschen Film, sondern er wäre auch im falschen Land.
Michael ist sowieso dafür, dass wir gar nicht laut preisgeben, wo es uns bisher besonders gut gefallen hat – damit nicht so viele Menschen dort hin fahren. Nun ja, ganz ernst scheint er es doch nicht zu meinen, sonst dürfte er nicht so sehr von Les Sables-d’Olonne schwärmen.
Ein wenig sentimental gebe ich mich also meinen Erinnerungen hin und lasse vor meinem geistigen Auge noch einmal Revue passieren, was ich in inzwischen mehr als 50 Jahren von Frankreich so alles gesehen habe.
Wenn ich dabei, zumindest vage, der Chronologie folge, in der ich Frankreich kennengelernt habe, dann muss ich im Süden starten, werde mich anschließend in die Bretagne begeben, von dort in die Vendée und an die Küste Aquitaniens. Erst zum Schluss bringt mich diese Streckenführung dann an die Küsten im Norden, an die in Nord-Pas de Calais, die der Picardie und der Normandie. So oder zumindest so ungefähr entspricht es meiner sukzessiven Entdeckung des Landes, die sich lange hingezogen hat, aber immer wieder neue angenehme Überraschungen mit sich brachte.
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